1853, nach den ersten kritischen Anmerkungen von Joachim Raff zum Konzept des Gesamtkunstwerks, veröffentlichte Franz Brendel in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ eine Artikelserie „Die bisherige Sonderkunst und das Kunstwerk der Zukunft“. Diese erste Erläuterung von Wagners Ideen erweiterte er kurz darauf zu einem eigenen Buch. Der Text gibt einen Eindruck in die Anfangszeit der kritischen Wagner-Diskussion in der musikalischen Fachpresse der 1850er Jahre. – Die Transkription erfolgte im Rahmen eines Hauptseminars an der HMT Leipzig von Eva-Maria Meinhardt.
Franz Brendel: Die bisherige Sonderkunst und das Kunstwerk der Zukunft
[Teil 4: NZfM 28, Nr. 11, 11. März 1853. Transkription: Eva-Maria Meinhardt]
[109] Betrachten wir, nach Wagner’s Vorgang, den Einfluß des Gesammtkunstwerkes auf die einzelnen Künste, die Rückwirkung des Ersteren auf diese, so stellt sich eine Fülle neuer Verwendungen, eine Fülle von Anregungen für die letzteren unseren Blicken dar.
Fehlt es der Baukunst bis jetzt gänzlich an einem Object, so erhält sie durch das Theater der Zukunft einen Vorwurf, mindestens eben so groß, als der alte war. Man bemerke die Tragweite dieses Gedankens, zugleich die Consequenz, mit der er aus der gesammten Anschauung Wagner’s hervorgeht. Tritt die Kunst in Zukunft überhaupt mehr in den Vordergrund, ist sie bestimmt, wie in Griechenland, den Mittelpunkt des Bewußtseins zu bilden, demnach zugleich eine religiöse Stellung einzunehmen, so ist das Theater für den Baukünstler dasselbe, was früher die Kirche war. Mit einem Male vermag diese Kunst zum Leben zu erwachen; sie erhält Aufgaben, welche jetzt erst der Ahnung zugänglich sind.
Skulptur und Malerei werden befreit aus ihrer bisherigen Absonderung, und treten, indem sie im Drama aufgehen, in eine lebendige Beziehung zum Ganzen. Zunächst ist es die Landschaft, welche die Bestimmung erhält, den Hintergrund zu bilden. „Was der Landschaftsmaler bisher im Drange nach Mittheilung in den engen Rahmen des Bildstückes einzwängte, – was er an der einsamen Zimmerwand des Egoisten aufhängte, oder zu beziehungsloser, unzusammenhängender und entstellender Uebereinanderschichtung in einem Bilderspeicher dahin gab, – damit wird er nun den weiten Raum der tragischen Bühne erfüllen, den ganzen Raum der Scene zum Zeugniß seiner naturschöpferischen Kraft gestaltend.“ In gleicher Weise wird die Fähigkeit des Bildhauers und Historienmalers verwendet. „Was Bildhauer und Historienmaler in Stein und auf Leinwand zu bilden sich mühten, das bilden sie nun an sich, an ihrer Gestalt, den Gliedern ihrer Leibes, den Zügen ihres Antlitzes, zu bewußtem, künstlerischen Leben. Derselbe Sinn, der den Bildhauer leitet im Begreifen und Wiedergeben der menschlichen Gestalt, leitet den Darsteller nun im Behandeln und Gebahren seines wirklichen Körpers. Dasselbe Auge, das den Historienmaler in Zeichnung und Farbe, bei Unordnung der Gewänder und Aufstellung der Gruppen, das Schöne, Anmuthige und Charakteristische finden ließ, [110] ordnet nun die Fülle wirklicher menschlicher Erscheinung.“ Jedenfalls erblicken wir auch hier sogleich einen großen Reichthum an Aufgaben, und es muß zugestanden werden, daß diese Künste eine Spielraum für ihre Thätigkeit gewinnen, der bisher nicht für sie vorhanden war. Anderseits freilich bleibt – gehen dieselben ausschließlich in einer solchen Bestimmung auf – zur Zeit eine Frage offen! Meiner Ansicht nach kann kein Zweifel darüber obwalten, daß die besondere Existenz, insbesondere das bisherige Handwerk derselben, ganz vernichtet ist. Wagner’s Gedanke ist die Fähigkeit, welche bis jetzt in dieser Weise zur Erscheinung kam, zu erhalten, und in neuer Weise zu verwenden. – wie sehr dieß der Fall, dafür liefern seine eigenen Werke den glänzendsten Beweis – diese Künste selbst aber als Zunft gehen unter; ob dieselben jedoch, und nicht allein von ihrem bisherigen egoistischen Standpunkt aus, sondern bei voller Hingebung an das Ganze, zufrieden sein, ob sie nicht, trotz der Erweiterungen in anderer Beziehung, eine gewisse Zurücksetzung empfinden werden, wenn ihnen das Kunstwerk der Zukunft ihre gegenwärtigen Ausdrucksmittel ganz entzieht, das bedarf einer weiteren Untersuchung, die hier noch nicht am Ort, für die sich indeß weiter unten die Gelegenheit finden wird. So viel ist richtig, daß auch auf dem Gebiet der Skulptur und Malerei ein Streben erwacht ist, dem Leben sich zu nähern, daß diesen Künsten die Existenz in Stein und auf Leinwand nicht mehr genügt, und dieß spricht außerordentlich für Wagner’s Gedanken. Oder deute ich falsch, wenn ich die Beliebtheit der lebenden Bilder und verwandter Darstellungen auf diese Weise erkläre, wenn ich darin die tiefere Bedeutung dieser Mode finde? Daß man sich die Darstellung, insbesondere des nackten menschlichen Körpers in der Kunst bis jetzt wohl gefallen ließ, vor der Schaustellung des lebendigen Menschen aber erschrack, war eine Inconsequenz. Es wurde dadurch auch der Kunst jeder Boden entzogen, und die Nachbildung durch dieselbe mußte geradehin als Unsinn erscheinen. Schon das ist ein großer Schritt zu nennen, wenn man sich jetzt, bestimmt durch jene Mode, allmälig daran gewöhnt.
Die Musik erscheint durch das Gesammtkunstwerk befähigt, in ein neues, bis jetzt nicht geahntes Verhältniß zur Poesie zu treten. Die bisherige Gesangsmusik, d. h. die Art der Behandlung der Singstimme, die Verbindung des Wortverses mit der Melodie hat sich, mit wenigen Ausnahmen, überlebt. Schon früher, schon vor Wagner, habe ich auf die gegenwärtig herrschende Bewußtlosigkeit aufmerksam gemacht, diese grenzenlose Confusion in der Behandlung der Singstimme, ich habe angedeutet, daß hier ein Gebiet vorliegt, so groß und reich, als die ganze bisherige Theorie der Musik, ein Gebiet aber, zu dessen Bearbeitung auch noch nicht einmal der erste Versuch gemacht worden ist. Ich hatte dabei die willkührliche, aller inneren Nothwendigkeit baare, ganz äußerliche Verbindungen des Verses mit der Melodie, die Vermengung der verschiedenen Style in der Gesangscomposition im Auge, und stützte darauf die Behauptung, daß die gegenwärtige Bildung des Musikers, ganz abgesehen von den Aufgaben, welche Wagner stellt, selbst auf dem Gebiet der specifischen Musik, nicht mehr genüge, ich begründete damit die Forderung, daß die Bildung des Musikers eine ganz andere werden müsse, eine Forderung, deren Nothwendigkeit jetzt zwar schon tiefer empfunden, keineswegs aber noch in ihrer ganzen Ausdehnung erkannt wird, indem man sich sonst beeilen müßte, energischere Schritte zur Abhülfe zu thun. Jetzt, in Folge der Anregung Wagner’s, erscheint die Sache in einem neuen Lichte. Es handelt sich nicht mehr um eine bessere Verbindung beider Elemente in der bisherigen Weise, jetzt ist die Aufgabe, eine viel innigere Durchdringung des Wortverses und der Melodie zu erreichen, eine Durchdringung, welche beide aus einer Wurzel als ein ursprüngliches Ganze hervorwachsen läßt, in einem Grade, daß ihr gegenüber die bisherige Vereinigung als eine ganz äußerliche Zusammenfügung erscheint. Es wiederholt sich einigermaßen – um den Musiker sogleich an ein bekanntes Beispiel zu erinnern, – was Gluck der italienischen Oper seiner Zeit gegenüber empfand, aber in neuer, von Wagner zuerst erkannter Weise. Wenn daher ein musikalisches Journal bei Gelegenheit der Aufführung des Tannhäuser in Leipzig bemerkte, Wagner „ersetze den Mangel abgeschlossener Melodie durch sinnreiche und entsprechende Steigerung der Effekte,“ so geht daraus hervor, daß es von der Erkenntniß, auf die Alles ankommt, die den innersten Kern der neuen Bestrebungen bildet, auch noch nicht die entfernteste Ahnung besitzt. Was hier gemeint ist, wird namentlich auch durch den Hinblick auf die neueste Wendung der Instrumentalmusik klar. Die Instrumentalmusik ist am Schlusse der Beethoven’schen Entwicklung in die Poesie auf- und übergegangen. Jetzt erwächst aus dieser Wendung der Stellung der Musik zur Poesie ein neues Verhältnis. Indem die reine Instrumentalmusik aus sich selbst heraus das Wort erzeugte, von der entgegengesetzten Seite also eine Verbindung beider Elemente anstrebte, ist die Bahn für die tiefere, hier gemeinte Durchdringung gebrochen. Wir stehen mit dieser Einsicht unmittelbar auf dem Punkt, den Wagner zum Ausgang genommen hat. – Hier, wo ich die weiteren Untersuchungen nur erst in Umrissen [111] bezeichne, kommt es allein darauf an, zunächst mit wenigen Worten Fragen anzuregen, denen wir in Zukunft die ausführlichsten Untersuchungen werden zu widmen haben. So viel aber erhellt schon jetzt, daß sich der Tonkunst bei der weiteren Verfolgung dieses Weges, neue Aufgaben in Fülle eröffnen. Bisher verbanden sich die Künste nur in einer Weise, die das möglichst geringste Aufgeben des eigenthümlichen Wesens einer jeden an die andere geschehen ließ. Jetzt tritt die Musik aus ihrer specifischen Abgeschlossenheit heraus, giebt ihren Formalismus auf, und wird erst auf diese Weise zur allgemein verständlichen Kunst. So zeigt sich der Zug zum Ganzen hin, dieses Ringen nach Befreiung in demselben, auf dem Gebiet der Musik noch deutlicher, als in Skulptur und Malerei. Er zeigt sich in der angedeuteten Wendung der Instrumentalmusik, er zeigt sich vor Allem in dem Umstand, daß der erste Anstoß, die erste Anregung überhaupt durch Wagner, von musikalischer Seite, ausgegangen ist.
Was endlich die Poesie betrifft, so beginnt gegenwärtig in der Schriftstellerwelt eine gewisse Theilnahme für die neuen Bestrebungen sich zu regen. Schriftsteller und Dichter freilich haben – mit Ausnahme Einzelner – viel nachzuholen, eine natürliche Folge der Absperrung auf das Gebiet specifischer Poesie, des Mangels an Theilnahme an dem, was im Bereich der Musik erstrebt wurde, und wir sehen deßhalb, wie ein Theil derselben erst jetzt dahin gelangt, wo wir schon vor Jahren waren. In dem gegenwärtigen Aufschwung des Drama aber glaube ich – jenen Dichtern bewußt oder unbewußt – eine Annäherung an das Gesammtkunstwerk zu erkennen. Die romantische Dichterschule unterlag der großen Einseitigkeit die Bühne ganz zu ignorieren. Ihr gegenüber haben die neuesten dramatischen Dichter das große Verdienst, dieselbe wieder erobert zu haben. Sie begegnen auf diese Weise den Bestrebungen Wagner’s, und es ist dann nur nothwendig, gemeinschaftlich Besitz zu ergreifen, gemeinschaftlich fortzuarbeiten. Es ist weniger ein selbstständiger poetischer Aufschwung, den wir vor uns haben; es ist eine verwandte Bewegung auf dem Gebiet der Poesie, hinstrebend zu demselben Ziele. Auch noch in anderer, weit bestimmterer Weise geschehen Schritte zur Annäherung. Man hat sehr richtig erkannt, daß das Drama an äußerer Wirkungsfähigkeit mit der Oper sich nicht messen kann, und darum den Versuch gemacht, Opernwirkungen in dasselbe aufzunehmen. Es ist der Gedanke ausgesprochen worden, gesungenen Chören im Drama Zutritt zu gestatten. Mit Unrecht, wenn dabei als einem Letzten stehen geblieben werden sollte, weil wir dann nur dieselben unvereinbaren Elemente vor uns haben würden, die sich in der bisherigen Oper mit Dialog breit machten, dasselbe widerspruchsvolle Ganze; mit Recht, wenn damit das Bewußtsein der Nothwendigkeit einer Verbindung von Poesie und Musik ausgesprochen ist. Auch die Poesie hat jetzt die Bestimmung, aus ihrer Einseitigkeit herauszutreten, und sich durch Musik zu ergänzen. Auch sie muß Verzicht leisten auf das verkehrte Beginnen, allein und durch eigene Mittel musikalische Wirkungen erreichen zu wollen, auch sie muß die Schwester zur Unterstützung herbeirufen, und dem gefühlsarmen Wort entsagen. Daß dieß Letztere nothwendig, wird zur Zeit wohl noch am wenigsten erkannt. Der Schriftsteller, der Dichter sagt, das gesprochene Wort genüge allein, und bedürfe keiner Unterstützung durch den Ton. So lange freilich eine derartige Ansicht ausgesprochen werden kann, zeigt man, daß der wahre Sinn jener Verbindung nicht erkannt worden ist. Ich suchte, worauf es ankommt, oben durch das Beispiel des Göthe’schen Faust deutlich zu mache. Ich empfand bei dieser Gelegenheit zum ersten Male in dieser Klarheit das Ungenügende des bloßen Worts, ich erkannte, wie Göthe’s Faust, jedoch ohne bestimmte Absicht, zugleich musikalisch gedacht ist, während diese Intentionen, in Folge der damaligen Sonderung der Künste, dem Dichter nicht zum Bewußtsein kamen, und folglich auch keine Verwirklichung finden konnten.
Selbst die Tanzkunst wird durch Wagner in den Verein der Künste aufgenommen, und erhält neue Belebung. Was diese Kunst zu leisten im Stande ist, können wir zur Zeit nur noch bei den Nationaltänzen bemerken, während in der gegenwärtigen Erscheinung derselben auf der Bühne nur der Zustand tiefster Entartung wahrgenommen wird. Sehr treffend hat Wagner in seiner Schrift „das Kunstwerk der Zukunft“ diese scheußliche Verirrung der modernen Tanzkunst charakterisirt.
Alle Künste werden durch das Gesammtkunstwerk auf ihr wahres Maaß zurückgeführt. Jede einzelne derselben entsagt dem egoistischen Gelüst, immer auf Kosten aller Anderen sich geltend zu machen, entsagt dem falschen Streben, die ihr gesteckten Schranken zu überschreiten und die Wirkungen Aller in sich zu vereinen, jenem vergeblichen Beginnen, das Unmögliche möglich machen zu wollen. Indem die einzelnen Künste leisten, was sie wirklich vermögen, finden sie darin eine bis jetzt nicht vorhandene Entschädigung. Durch die lebendige Beziehung zum Ganzen endlich wird die schöpferische Kraft auf neue Bahnen gelenkt. Jene nur äußerliche Verbindung der Künste verschwindet. Das Gesammtkunstwerk ist ein aus einer Wurzel hervorgegangenes organisches Ganze.
[112] Entsteht schließlich hier die Frage nach der augenblicklichen Bedeutung der Sonderkunst, so beantwortet sich dieselbe leicht auf folgende Weise. Augenblicklich besitzen, wie wir gesehen haben, einzelne Künste in einzelnen ihrer Gattungen noch eine gewisse Lebenskraft. Es würde nun sehr voreilig genannt werden müssen, dieses Leben zu Gunsten des Kunstwerkes der Zukunft – wenn so Etwas überhaupt möglich wäre – gewaltsam unterdrücken zu wollen. Diese noch vorhandene Productivität muß geschont werden, sie hat ihre relative Wahrheit, aus dem einfachen Grunde, weil wir das Gesammtkunstwerk noch nicht besitzen. Mit dem Erscheinen des Letzteren wird die bisherige Sonderkunst von selbst aufhören.
Das Resultat meiner bisherigen Betrachtung ist das siegreiche Hervortreten des Kunstwerkes der Zukunft, die höhere Wahrheit desselben gegenüber jeder Vereinzelung. Das Kunstwerk der Zukunft tritt als Ziel der ganzen bisherigen Entwicklung auf.
Es war der Zweck des bis jetzt Gegebenen dafür den Beweis zu liefern. Ich habe deßhalb nach den wichtigsten Seiten hin die Hauptgesichtspunkte bezeichnet, ich habe zuerst das historisch Wohlbegründete des Gedankens angedeutet, ich habe auf den unmittelbaren Eindruck der beispielsweise angeführten Wagner’schen Werke der bisherigen Kunst gegenüber, die größere Macht derselben hingewiesen, ich habe die Ausgestorbenheit der einzelnen Künste auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Entwicklung, so wie den Zug derselben nach dem Ganzen hin dargethan, endlich aber auf die Fülle der Anregungen, welche der Sonderkunst durch das Aufgehen im Ganzen erwachsen, aufmerksam gemacht.
Hiermit ist der erste Theil meiner Untersuchung beendet, es ist vorausgeschickt, was nothwendig war, um ausreichend orientirt der Hauptuntersuchung näher treten zu können, jener Bestimmung, welche nach allen Seiten hin ein Stein des Anstoßes ist, jener Frage, welche zur Zeit von Jedem, auch den unserer Richtung näher Stehenden verschieden beantwortet wird. Wir sind auf dem entscheidenden Wendepunkt angekommen, und haben dem entsprechend zu erörtern, ob das Kunstwerk der Zukunft schlechthin und ohne Weiteres an die Stelle der einzelnen Künste zu treten bestimmt, ob damit alle besondere Kunstthätigkeit wirklich erschöpft ist, oder ob trotz der bezeichneten siegreichen Stellung desselben neben ihm der Einzelkunst doch noch eine Berechtigung zugestanden werden muß. Es ist hier zugleich der Ort, den von J. Raff ausgesprochenen Bedenken näher zu treten.
Zuvor sei indeß noch eine Frage zur Erledigung gebracht, die aus der vorausgeschickten Betrachtung resultiert, die Frage: Wer ist der Künstler der Zukunft? Wagner giebt hierauf bekanntlich die Antwort: die Genossenschaft der Künstler. Man hat jedoch mit dieser Antwort zur Zeit sehr wenig anzufangen gewußt, man hat sie ignorirt oder falsch verstanden. Selbst unser Freund L. Köhler in Königsberg sagte vor kurzem in der Königsberger Zeitung: „Um ein einiges Kunstwerk zu schaffen, ist auch eine einzige Seele (nicht deren zwei) nothwendig, und daß Wagner die Thätigkeit Zweier dabei wohl statthaft findet, erscheint mir als eine unbegreifliche Inconsequenz,“ das von mir schon öfter citirte musikalische Journal aber meinte bei Gelegenheit der Aufführung des Tannhäuser in Leipzig ganz gemüthlich, „die Art und Weise des nothwendigen Libretto setze ein Einverständniß zwischen beiden Factoren der Oper voraus, das nur ausnahmsweise in einer Person herzustellen sei,“ und wünschte deßhalb auch „beide Formen in schwesterlicher Eintracht“ d. h. Oper und Zukunftsdrama, – ein vollkommener Widerspruch – während „Wagner’s Pfad nicht als die Richtschnur künftiger Kunstgebilde betrachtet werden dürfe.“
Die Sache ist diese:
Es war nothwendig, daß der erste Anstoß von Einem ausging, und zwar von Einem, der alle Künste umfaßt. Wie nun der Geist der Geschichte sogleich schafft, wo ein wahrhaftes Bedürfniß sich zeigt, so erblicken wir Wagner’s Erscheinung plötzlich in Mitten einer scheinbar ganz anders gestalteten Welt. Ein großes Mißverständniß aber wäre es, wenn man meinen wollte, daß auch in Zukunft Einer Alles machen sollte, es wäre das dem Wagner’schen Sinne in der That etwas direct Entgegengesetztes. Wagner sehnt sich nach Genossenschaft, er verlangt, daß die Künstler zusammen arbeiten sollen. Der Grundirrthum besteht demnach darin, daß man immer die gegenwärtigen Zustände als Voraussetzung mitbringt, während das was Wagner will, nur unter einer der gegenwärtigen Weltanschauung fast entgegengesetzten erreicht werden kann. Daß ein solches Zusammenwirken unter den dermalen bestehenden künstlerischen Verhältnissen nicht möglich, darin hat man vollkommen Recht; in dieser babylonischen Sprachverwirrung wollte Jeder nur Sich, und ist darum unfähig, in einem größeren Ganzen aufgehen zu können. Auf dem neuen Standpunkte ergiebt sich dieß jedoch ganz von selbst als nothwendige Consequenz, die Vereinigung ist das Normale, das, was sich von selbst versteht, und darum auch viel leichter zu vollbringen, als gegenwärtig, wo man stets nur die vergeblichen Versuche machte, disparate Elemente zusammen zu leimen. Nur über die Art, wie diese gemeinschaftliche Thätigkeit näher vorzustellen ist, können vielleicht [113] mit Recht noch einige Zweifel obwalten. Wagner bemerkt ausdrücklich, daß die Anregung von allen Künstlern gleichmäßig ausgehen, daß ein Jeder die Genossen für eine von ihm erfaßte Idee gewinnen dürfe, während zunächst doch wohl Dichter und Darsteller in diesem Verein etwas bevorzugt erscheinen. Unter den angenommenen Voraussetzungen ist die Sache, wie aus dem Gesagten erhellt, ohne Weiteres ausführbar; zweifelt man aber, ob jemals diese Voraussetzungen vorhanden sein werden, so lassen sich solche Bedenken mit zweifelloser Sicherheit beseitigen. Jede neue Weltgestalt erscheint den ihr vorangehenden Menschen als ein fernes, unmögliches Ideal, als ein frommer, nie zu realisirender Wunsch. Dasselbe gilt indeß auch von allen den Weltgestalten, die im Laufe der Geschichte schon zerfallen sind. Auch sie mußten vorausgegangenen Geschlechtern als Utopien erscheinen, bis die Zeit gekommen war, wo sie zur Verwirklichung gelangen konnten. Man versetze sich zurück, und betrachte z. B. das was gegenwärtig stürzt von jenem Standpunkte aus, wo es noch nicht existirte. Man wird finden, daß es von diesem aus als eben so unausführbar uns entgegen tritt. Oder glaubt man, um ein bestimmtes Beispiel anzuführen, den Römern sei das Christenthum auf der Stufe ihres Bewußtseins als berechtigte künftige Weltgestalt erschienen? Als hirnverbrannte Schwärmerei mußten sie es betrachten. So wird an die Stelle des gegenwärtigen Egoismus die Liebe, die Hingebung treten, wenn die Zeit erfüllt ist.