Zur Rezeption der Musik fremder Kulturen bei den Forschungsreisenden Johann Reinhold Forster und Georg Forster
Der Text basiert auf einer Seminararbeit des Autors.
1. Einleitung
1.1 Zur Reiseliteratur und ihrer Popularität im 18. Jahrhundert
Schon immer gab es den Drang von Menschen, sich zu erheben[1], das Vertraute zu verlassen und Neues zu entdecken. Der Reiz des Fremden lag dabei in den unterschiedlichen Beabsichtigungen des Reisens: So kennzeichnete die Abenteuerreise, deren ältestes und berühmtestes Beispiel wohl Homers Odyssee sein dürfte, die Überwindung von Hindernissen und Herausforderungen des Fremden. Die Pilgerreisenden des Mittelalters versuchten mit heiligen Stätten und Reliquien in Kontakt zu kommen. Des Weiteren konnte das Motiv des Reisens in der Vermehrung des Wissens liegen. Seit dem 17. Jahrhundert erblühten im Zuge von Aufklärung und der langsamen Ausbildung der modernen Wissenschaften sowie der Entdeckung neuer Weltteile und der Entwicklung komfortablerer Fortbewegungsmöglichkeiten die Bildungs- und Forschungsreisen.
Und ebenso gab es immer den Drang des Menschen, die Erlebnisse und Beobachtungen weiterzugeben, z. B. über deren Verschriftlichung. So unterschiedlich die Reisen und ihre Intentionen waren, so unterschiedlich waren auch deren Formate: Es entstanden Reiseberichte, Reiseromane, Reiseskizzen, Reiseessays, Reisetagebücher, Reisenotate etc.[2] »Das frisch Gesehene wurde in den verschiedensten Stillagen notiert und verfügbar gemacht, zunächst im intimen, persönlichen Sinn, dann aber auch für die anderen, die Gruppe, die daheim Gebliebenen.«[3]
Dieser Vorstoß der Reiseliteratur in den öffentlichen Raum war eine Folge des wachsenden Interesses der Bevölkerung am Fernen und Fremden, das im England des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt durch dessen Stellung als Seemacht und seine Neuentdeckungen von bis dato unbekannten Erdteilen gewachsen war. Zu dieser Zeit war die Reise nach den Publikationen religiösen Inhalts das zweitbeliebteste Sujet der britischen Leserschaft.[4] Dies konnten fiktive Reisegeschichten sein, wie Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe aus dem Jahr 1719, oder es waren Reiseberichte, wie sie in Richard Hakluyts dreibändiger, bereits zwischen 1598 und 1600 erschienener Sammlung The Principal Navigations, Voyages, Traffiques and Discoveries of the English Nation zu finden waren. Hakluyt und spätere Herausgeber von Reiseberichten wurden in England veritable Berühmtheiten – nicht nur im Kreis der See- und Kaufleute, sondern auch beim »normalen, zuhausesitzenden Leser«.[5]
In die Zeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fielen die Entdeckungsreisen des Thomas Cook, an deren zweiter der deutsche Forscher Johann Reinhold Forster und sein Sohn Georg Forster beteiligt waren. Zwischen 1772 und 1775 steuerte die Crew zahlreiche Inseln des Südmeeres an, deren Charakteristika von den beiden wissenschaftlich erfasst werden sollten.
1.2 Die Forsters und ihre Reiseberichte
Aufgrund dieses Interesses an Reise und dem Fremden dürften sich die Forsters von der Reise neben »dem Gewinn, der der Wissenschaft erwachsen solle, und dem Zuwachs des menschlichen Wissens im allgemeinen«[6] auch einen finanziellen Gewinn versprochen haben. So verkauften sie einerseits nach der Rückkehr viele ihrer mitgebrachten, von der Aura des Exotischen umgebenen Objekte, die bereits während der Expedition jeweils doppelt gesammelt wurden.[7] Als weitere Einnahmequelle, aber auch als Mittel der Erhöhung der eigenen Reputation beabsichtigte Johann Reinhold Forster andererseits die Herausgabe einer großen, für die breite Öffentlichkeit bestimmten Reisebeschreibung. Doch nach einem Zerwürfnis mit der britischen Admiralität war ihm die Veröffentlichung eines populären und somit gewinnträchtigen Reiseberichts entzogen worden. Stattdessen publizierte er 1778 ›lediglich‹ eine wissenschaftliche Abhandlung mit dem Titel Observations made during a Voyage round the World, on Physical Geography, Natural History, and Ethic Philosophy, die zwar kein Massenpublikum erreichen konnte, jedoch »schnell zu einem Standardwerk über die Südsee und insbesondere ihre Bewohner avancierte.«[8]

John Francis Rigaud: Reinhold und Georg Forster. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Forsterundsohn.jpg#mediaviewer/Datei:Forsterundsohn.jpg
Das Verbot zur Veröffentlichung einer populären Reisebeschreibung bezog sich allerdings nur auf den in Ungnade gefallenen Vater, nicht auf dessen Sohn Georg. Der junge Mann schrieb innerhalb von rund acht Monaten sein zweibändiges Werk A Voyage round the World, das noch vor Thomas Cooks eigener Reisebeschreibung im Jahr 1777 erschien. Das Werk erntete viel Anerkennung und erschien kurz darauf in deutscher Sprache, stellenweise verändert sowie angereichert mit Abschnitten aus Thomas Cooks Tagebüchern, in zwei Bänden 1778 und 1780. Der Erfolg seiner Reise um die Welt war immens und beförderte den Dreiundzwanzigjährigen »in Deutschland in die Reihe der meistgelesenen Schriftsteller jener Zeit«.[9]
Doch erfuhr das Werk auch heftige Anfeindungen. Georg Forster wurde öffentlich verdächtigt, gar nicht der tatsächliche Verfasser des Reiseberichts zu sein. Vielmehr sei es der Vater Johann Reinhold Forster gewesen, der das Werk geschrieben und lediglich unter dem Namen seines Sohnes herausgebracht hätte.[10] Auch wenn sich der Sohn dagegen wehrte und seine Autorenschaft heute unstrittig sein dürfte: Neben seinen eigenen Aufzeichnungen bildeten ebenso die Niederschriften des Vaters die Grundlage für die Reise um die Welt.[11] Und auch die Bemerkungen von Johann Reinhold Forster dürften nicht unberührt von Georgs notierten wie auch von gemeinsam diskutierten Beobachtungen und Erkenntnissen geblieben sein. Der Forster-Experte Michael E. Hoare konstatiert, dass Vater und Sohn »bei uns […] als ein wissenschaftliches Team oder eine symbiotische Einheit angesehen« würden und geht mit Blick auf die Reisebeschreibung davon aus, dass »die beiden Forsters zusammen noch vor dem Ende der Reise die ausführlicheren sowohl botanischen als auch zoologischen Beschreibungen der Reise in ein fast veröffentlichungsfertiges Stadium […] gebracht hatten.«[12] Aufgrund der kurz umrissenen engen Verflechtung der beiden Autoren werden die Werke Reise um die Welt und Bemerkungen in dieser Untersuchung nicht in vergleichender Gegenüberstellung, sondern in ergänzender Hinsicht auf ihre Rezeptionen von Musik fremder Kulturen untersucht.
2. Rezeption ›fremder‹ Musik bei den Forsters[13]
Nach derzeitiger Literaturlage gibt es noch keine Untersuchungen zur Musikrezeption bei den Forsters. Somit können keine Vergleiche zu anderen Arbeiten gezogen werden. Die Analyse wird eng an den Texten erfolgen. Die Untersuchung wird in zwei wesentliche Teilbereiche der Musikrezeption untergliedert: Zunächst soll ermittelt werden, wo und wie die Forsters explizit über Musikinstrumente und deren Eigenschaften berichten.[14] In einem zweiten Schritt werden die Wertzuschreibungen, Funktionen und Ausführungen von Musik im gesellschaftlichen Leben der Völker untersucht.
Dabei ist den kommenden Ausführungen voranzustellen, dass Georg Forsters Reise um die Welt und Johann Reinhold Forsters Bemerkungen vorrangig die Beobachtungen und Erfahrungen der Wissenschaftler im Bereich der Ethnographie und Botanik enthalten. Auf fremdartige Musik und eine Berichterstattung über sie wird kein expliziter Schwerpunkt gelegt. Nur in wenigen und in der Regel sehr kurzen Abschnitten wird das Thema behandelt. Somit stellt sich die Suche nach der Forsterschen Musikrezeption mitunter als eine äußerst spitzfindige heraus. Nichtsdestotrotz kann bereits hier vorangestellt werden, dass in den Werken sowohl Musikinstrumente und ihre Eigenschaften als auch verschiedentliche Funktionen von Musik im Leben bereister Inselkulturen beschrieben werden.
2.1 Beschreibung fremder Musikinstrumente
Von fremden Musikinstrumenten, ihrer Beschaffenheit und ihrer praktischen Nutzung berichten die Forsters nur in erstaunlich seltenen Fällen. So schreibt Georg Forster über eine Begegnung mit exotischen Instrumenten in Neuseeland:
Auch fanden wir einige musicalische Instrumente bey ihnen, nemlich eine Trompete oder vielmehr ein hölzernes Rohr, das vier Fus lang und ziemlich dünn war. Das Mundstück mochte höchstens zwey, und das äußerste Ende ohngefähr 5 Zoll im Durchschnitt halten. Sie bliesen damit immer in einerley Ton, der wie das rauhe Blöken eines Thieres klang, doch möchte ein Waldhornist vielleicht etwas mehr und besseres drauf haben herausbringen können. Eine andre Trompete war aus einem großen Tritons-Horn (murex Tritonis) gemacht, mit künstlich ausgeschnitzten Holz eingefaßt, und an demjenigen Ende, welches zum Mundstück dienen sollte, mit einer Öfnung versehen. Ein schrecklich blökender Ton war alles was sich herausbringen ließ. Ein drittes Instrument, welches unsere Leute eine Flöte nannten, bestand aus einem hohlen Rohr, das in der Mitte am weitesten war und in dieser Gegend, desgleichen an beyden Enden eine Öfnung hatte. Dies und das erste Instrument waren beyde, der Länge nach, aus zwey hohlen Stücken von Holz zusammengesetzt, die eins für das andre so eben zurecht geschnitten waren, daß sie genau auf einander paßten und eine vollkommne Röhre ausmachten.[15]
Zunächst ist die Verwendung der europäischen Begrifflichkeiten »Trompete« und »Flöte« für die unbekannten Instrumente auffällig, die Forster zwar zur Veranschaulichung benutzt und sich doch im selben Atemzug von ihnen distanziert. Auf der einen Seite benötigt er Begriffe, die ihm und den Lesenden das Unbekannte über Vertrautes näher bringen, andererseits weiß er um die Diskrepanz zwischen Bezeichnung und Erfahrenem, wenn er der vermeintlichen Trompete die Beschreibung als »vielmehr ein hölzernes Rohr« beifügt und beiläufig klarstellt, dass die Flöte nur von »unsere[n] Leute[n]« als solche bezeichnet wird.
Ferner fällt auf, wie detailliert die Beschreibung trotz der wenigen Worte ausfällt: Forster klärt über Größe, Material, Aufbau und Tonumfang auf, sodass sich der heimische Leser ein recht genaues Bild von den Instrumenten machen kann. Die Wertung lässt dabei nicht lange auf sich warten: Wie das »Blöken eines Tieres« klängen die sogenannten Trompeten. Durch den Vergleich mit animalischen Lauten wird dem neuseeländischen Instrument jede ästhetische Klangqualität abgesprochen. Der europäische Leser des späten 18. Jahrhunderts kann sich hingegen ein ungefähres Klangbild machen und sich in der Stärke seiner Zivilisation bestätigt sehen.
Ebenso berichten die Forsters sowohl in der Reise um die Welt als auch in den Bemerkungen von einer weiteren Flöte und ihrer Spielart, deren Bekanntschaft sie auf Tahiti machten:
Einer von den jungen Männern blies mit den Nasenlöchern eine Flöte von Bambusrohr, die drei Löcher hatte und ein andrer sang dazu. Die ganze Musik war […] nichts anders als eine einförmige Abwechselung von drey bis vier verschiednen Tönen, die weder unsern ganzen, noch den halben Tönen ähnlich klangen, und dem Werth der Noten nach, ein Mittelding zwischen unsern halben und Vierteln seyn mochten. Übrigens war nicht eine Spur von Melodie darinn zu entdecken; ebensowenig ward auch eine Art von Tact beobachtet, und folglich hörte man nichts als ein einschläferndes Summen. Auf diese Weise konnte die Music das Ohr freylich nicht durch falsche Töne beleidigen, aber das war auch das beste dabey, denn lieblich war sie weiter eben nicht zu hören. Es ist sonderbar, daß, da der Geschmack an der Music unter alle Völker der Erde so allgemein verbreitet ist, dennoch die Begriffe von Harmonie und Wohlklang bey verschiedenen Nationen so verschieden seyn können.[16]
Und Johann Reinhold Forster schreibt bezüglich des tahitianischen Instruments:
Weit unvollkommener als ihre Poesie und Tanzkunst, ist ihre Music. Die taheitische Flöte hat nur drey Ventile, und ist folglich auf gar wenige Noten beschränkt. Die Musik die damit gemacht wird, besteht in einem einförmigen Gesumme. Die Flöte wird mit der Nase geblasen.[17]
Beide benutzen auch hier den ihnen bekannten Begriff der Flöte für die Beschreibung des Instruments. Auffällig scheint doch die bei beiden nahezu beiläufige Äußerung, dass das Instrument mit der Nase gespielt wird. Für den europäischen Rezipienten dürfte dies eine Attraktion gewesen sein! Doch lässt sich vermuten, dass die Forsters auf ihrer jahrelangen Fahrt öfter mit solchen Blasinstrumenten in Berührung kamen, sodass sie diese Besonderheit nicht weiter ausschmückten.
Die Reisenden konstatieren nicht nur sachlich die Andersartigkeit des dortigen Tonsystems, sondern sie bemängeln darüber hinaus den monotonen Klang und den beschränkten Tonumfang der Flöte. Georg Forster geht gar noch weiter in seiner Kritik. Nicht nur das Instrument sei primitiv, sondern auch die musikalische Ausführung von Instrumentalist und Sänger: Denn zur fehlenden Melodie und seinem wahrgenommenem »Summen« wurde »ebensowenig […] eine Art von Tact beobachtet«. Auch wenn Georg Forster ihm einen generellen »Geschmack an der Music« zugesteht und ihn somit nicht völlig diskreditiert, wird der Tahitianer somit indirekt als unmusikalisch dargestellt.
Dass Georg Forster aber auch eine gewisse Faszination für ein Instrument entwickelte, lässt sich an einer Episode auf Tanna ablesen: Dort hätten die Insulaner ihm ein Instrument präsentiert,
welches gleich der Syrinx, oder Pan-Flöte, von Tonga-Tabbu, aus acht Rohr-Pfeifen bestand, mit dem Unterschied, daß hier die Röhren stufenweise kleiner wurden, und eine ganze Oktave ausmachten, obgleich der Ton jeder einzelnen Pfeife nicht völlig rein war. […] Wir kauften auch etliche achtröhrige Pfeifen ein, die nebst Boden, Pfeilen, Streitkolben und Speeren feil geboten wurden […].[18]
Die Beschreibung des Instruments wird recht knapp und sachlich gehalten. Des Weiteren fällt hier der intragruppale Vergleich auf: Die tannische »Pan-Flöte« wird mit einem anscheinend ähnlichen Instrument in Beziehung gesetzt, das auf einer anderen Insel (Tongatabu) gesichtet wurde.[19] In dieser Gegenüberstellung wird die tannische »Panflöte« der tongaischen bevorzugt, hat sie doch einen Tonumfang von immerhin »eine[r] ganze[n] Oktave«. Nicht zuletzt lässt sich die wohlwollende Sicht des Autors auf das Instrument mit seinem Kauf »etliche[r] achtröhrige[r] Pfeifen« belegen – hier begnügte er sich nicht mit dem Kauf eines oder zweier Exemplare, wie sonst wohl üblich.[20]
Als weitere häufig erwähnte, aber nur an einer Stelle tatsächlich beschriebene Instrumentengattung sind Trommeln zu nennen. In der Regel werden sie nur beiläufig und in Verbindung mit Tänzen erwähnt. Die einzige knappe Instrumentenbeschreibung findet sich in den Ausführungen zu einem Hiva-Tanz auf Raiatea.[21] Dort heißt es, es habe sich um »drei aus hartem Holz geschnitzte und mit Haifischhaut überzogene Trommeln« gehandelt. Die Beschaffenheit aus Haifischhaut ist für den Leser zwar durchaus interessant, doch über die Größe und den Klang des Instrumentes erfährt man nichts.
An wenigen Stellen finden auch Beschreibungen des Gesangs Einzug in die Ausführungen. Diese sind insbesondere im achten Abschnitt der – im Gegensatz zur chronologisch angelegten Reise um die Welt – systematisch aufgebauten Bemerkungen zu finden.[22]
In Bezug auf die Gesangskünste werden die Kulturen in vergleichender Betrachtung qualitativ-hierarchisch dargestellt: Einen angenehmen Gesang hätten die Forsters in Neuseeland und in Tanna erlebt. Bei anderen Völkern, wie den Einwohnern Tahitis, sei dieser weniger komplex gewesen:
Auch die Vocalmusik ist [in Tahiti] von keinem weiteren Umfange; sie enthält nur drey bis vier Töne, demohnerachtet sind einige ihrer Gesänge nicht ganz unangenehm. Unter den Einwohnern der freundschaftlichen Inseln hat die Musik ungleich stärkern Fortgang gehabt. Die Gesänge der Frauenzimmer auf der Insel Ea-uhwe oder Middelburg […] hatten etwas angenehmes. Noch mehr Abwechselung und Umfang findet man in den Gesängen der Tannesen und der Neuseeländer; es scheint also, daß diese von Natur mehr Anlage zur Musik haben.[23]
Die Äußerung veranschaulicht den damals sicherlich modernen, heute antiquiert wirkenden Fortschrittsgedanken Forsters: Es gäbe Ethnien wie jene in Tahiti, deren Gesänge weniger entwickelt wären, und andere, wie das Neuseelands, das einen stärkeren Fortgang durchlebt hätte und dazu »von Natur mehr Anlage zur Musik haben«. Dieser These liegt selbstverständlich das europazentrische Weltbild zugrunde, das auch am Ende des 18. Jahrhunderts unter Humanisten, als welche sich die Forsters verstanden, verbreitet war. Keines der bekannt gemachten Völker konnte seine Kunstprodukte aus ihrer Sicht in Umfang und Qualität mit europäischen Gesängen vergleichen.
Während sich die Gesangskunst nach Auffassung der Forsters also nicht mit jener der Europäer messen konnte, imponierte ihnen anscheinend die Improvisationskunst der fremden Kulturen:
Die Kunst, aus dem Stegereif Verse zu machen und sie zugleich abzusingen, ist allgemein. Ihre dramatischen Vorstellungen sind gemeiniglich dergleichen auf der Stelle erdachte Compositionen, oder ein Gemisch von Gesängen, Tänzen und Musik. Unser Welttheil hat also seine Improvvisatori nicht allein.[24]
Hier wird das improvisierte Texten und Singen als tatsächliche Kunst beschrieben. Die Qualität des Dargebotenen wird mit jener der Europäer gleichgesetzt. Dies erstaunt doch und dürfte zu damaliger Zeit eine Provokation für den ein oder anderen einheimischen Leser dargestellt haben. Eine indirekte Begründung – nicht weniger brisant – wird ausgerechnet am Beispiel der Tahitianer gegeben, denen doch nur wenige Textpassagen zuvor die Kunst des Gesanges abgesprochen wurde:
Die Taheitier pflegen, wie auch die Griechen ehemals thaten, ihre Verse stets singend zu recitiren. Diese kleinen Gedichte werden mehrentheils aus dem Stegereif gemacht. […] Die Verse haben ein förmliches Sylbenmaaß, und beym Singen wird die Quantität ausgedruckt.[25]
Hier werden die Tahitianer mit dem antiken Griechenland verglichen und dadurch in eine indirekte Beziehung mit den Europäern und deren Tradition gesetzt. Nach dieser Darstellung bliebe zwar die tahitianische Bevölkerung in ihrer Entwicklung Tausende Jahre hinter den Europäern zurück, aber ihre Wurzeln wären die gleichen. Neben diesen erstaunlichen Ausführungen fällt ein weiteres Mal der Versuch auf, das Wahrgenommene mit den eigenen Begrifflichkeiten zu beschreiben: Es wird von »Versen« gesprochen, die ein »förmliches Silbenmaaß« hätten.
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass sich die Forsters vergleichsweise wenig mit Musikinstrumenten auseinandersetzen. In nur wenigen Aufzeichnungen werden Instrumente explizit beschrieben, wobei vor allem die flötenartigen Instrumente exemplarisch und vergleichend vorgestellt werden. Trommeln werden zwar öfter erwähnt, aber kaum beschrieben.[26] Neben ihnen findet der Gesang und seine Ausprägung Einzug in die Beschreibung. Allerdings wird er lediglich an einer Stelle dem Leser näher gebracht. Während die Instrumente und Gesänge auf weniger Zustimmung bei den Forsters stoßen, hegen sie Respekt für die Improvisationskünste der Insulaner.
2.2 Zur Rolle von Musik im gesellschaftlichen Leben
Die Forscher kamen mit der musikalischen Praxis der Inselkulturen sowohl in deren Alltag als auch zu besonderen Anlässen in Kontakt.[27] Zum Bereich des Alltags werden in dieser Untersuchung der Umgang mit und der Ausdruck von Musik gezählt, die den Ethnien als typisch und sich stets ereignend zugeschrieben werden. Als besondere Anlässe werden solche angesehen, die sich nicht oder nur selten wiederholen.
Wie bereits oben konstatiert, geben die Forsterschen Werke nur selten Einblicke in die fremden Musikinstrumente. Gleiches gilt auch für die Behandlung von Musik im Alltagsleben der bereisten Völker. Wenn allerdings Rezeptionen von Musik im Alltag ihren Niederschlag in die Schriften finden, so wird ihr ein hoher Stellenwert für die Insulaner zugeschrieben. So heißt es in Bemerkungen zu den Bewohnern von Mallikollo:
Frölichkeit, Musik, Gesang und Tänze sind bei ihnen sehr beliebt.[28]
Und zu den Neuseeländern wird im gleichen Werk festgehalten:
Fabeln und romantische Erzählungen, Musik, Lieder, Tänze sind ihr Zeitvertreib.[29]
Ähnliches wird über die Bewohner der schon früher bereisten portugiesischen Insel Madeira berichtet, die nicht nur in der Freizeit, sondern trotz widriger Lebensumstände ebenso vergnügt während der Arbeit musizierten:
[…] dennoch sind sie bey aller Unterdrückung lustig und vergnügt, singen bey der Arbeit und versammeln sich des Abends, um nach dem Schall einer einschläfernden Guitarre zu tanzen und zu springen.[30]
Schon aus den genannten Beispielen lässt sich ersehen, dass Musik im Alltagsleben laut den Forsters bei vielen Kulturen eng mit Tänzen verbunden war. Oftmals hätten diese bei Nacht und in großem Stil stattgefunden, wie es in Reise um die Welt u. a. für die Bewohner von Raiatea (Gesellschaftsinseln) beschrieben wird:
Überhaupt halten sie es mit allen Arten von sinnlicher Freuden; und daher ist Musik und Tanz allenthalben ihr Zeitvertreib. Diese Tänze sollen des Nachts ungebührlich ausschweifend seyn, doch wird keinem, als blos den Mitgliedern der Gesellschaft, der Zutritt verstattet.[31]
An dieser wiederum sachlichen und knappen Beschreibung ist zu erkennen, dass die Forsters nicht immer die Möglichkeit hatten, die Vorgänge mit eigenen Augen zu sehen. Ebenso kann ein identitätsstiftendes Moment in den abendlichen Musik- und Tanzveranstaltungen von Raiatea aufgrund ihres geschlossenen Charakters gesehen werden. Dass die Tänze ausschweifend gewesen seien, lässt auf die Länge und Lautstärke der nächtlichen Veranstaltungen schließen. Aber dürfte eine sexuelle Anzüglichkeit der Tänze darin inbegriffen sein. So ist in den Bemerkungen bezüglich desselben Volks zu lesen, die Gesänge und Tänze der Bewohner »athmen Wollust«[32]. Die sexuellen Reize, die die Autoren anscheinend verspürten, werden ebenso für die Frauen Tahitis in Verbindung mit ihren musikalischen Ausdrucksformen festgestellt.[33]
Die beiden Forsters widmen sich in vergleichsweise ausführlicher Weise dem Erlebnis eines Hivas. Allerdings widersprechen sich die beiden in der Verortung des Erlebten: Während Georg Forster die Beschreibungen auf die Insel Raiatea bezieht, spricht Johann Reinhold Forster von Tahiti. Da aber in beiden Berichterstattungen ganz ähnliche Charakteristika sowohl den Protagonisten, als auch dem Ereignis zugesprochen werden, ist davon auszugehen, dass es sich tatsächlich um den gleichen Beobachtungsgegenstand handelt. Ob das Gesehene nun in Raiatea oder auf Tahiti stattfand, lässt sich nicht anhand der beiden Werke herausfinden.
Der Hiva sei ein öffentlicher Tanz gewesen und »abermalig« aufgeführt worden.[34] Er sei in vier Akte untergliedert gewesen, die von einem Trommelspiel eingeleitet worden seien, wobei diese »von vier oder fünf Leuten blos mit den Fingern, aber mit unglaublicher Geschwindigkeit geschlagen« worden seien.[35] Die Zuschreibung der geschickten Spielweise ist nicht nur als Respektsäußerung, sondern auch als Hinweis für ein schnelles Zusammenspiel der Musiker zu verstehen.
Daraufhin wären Tänzerinnen dazu gestoßen. Sie hätten sich in ihren Bewegungen zum einen nach dem Trommelspiel gerichtet, zum anderen aber auch nach einem alten Mann, dem »Ballettmeister«[36], »der mit tanzte und einige Worte hören ließ, die wir, dem Ton nach, für eine Art Gesang hielten.«[37] Um nach Georg Forsters Formulierung zu urteilen, war jener Gesang des Mannes in den Ohren der Forsters nicht angenehm, zumindest ungewohnt.
Davon abgesehen, dass die Mundbewegungen der tanzenden Frauen von beiden Forsters als äußerst unästhetisch wahrgenommen wurden,[38] imponierte ihnen der Tanz. In den Armbewegungen der Tänzerinnen sei doch »viel Grazie und in dem beständigen Spiel ihrer Finger ebenfalls etwas ungemein zierliches.«[39] Die Europäer »überhäuften die Tänzerinnen« nach der Darbietung aus Begeisterung »mit Corallen und anderm Putzwerk«.[40]
Die Aufzeichnungen der Forsters gehen in ihren Musikbeschreibungen stellenweise ebenso auf die weniger alltäglichen, besonderen Ereignisse ein, die sich im Leben der Insulaner oder in direktem Kontakt zwischen den Europäern und den Fremden zutrugen. So berichtet Georg Forster in Reise um die Welt von einem Zusammenstoß zwischen den Einwohnern Mallikolos und der Crew von Cook: Während die Einwohner sich mit den Europäern auf deren Schiff kennenlernten, eskalierte die Situation. Es war nicht genug Platz an Deck und so wurden einige Insulaner wieder zurück geschickt. Einige ließen sich von den Europäern provozieren und richteten Pfeile auf die Mannschaft, andere schwammen zurück an Land.
Kaum hatten sie dasselbe erreicht, so hörte man in unterschiednen Gegenden Lerm trommeln, und sahe die armen Schelme […] truppweise beysammen hucken, ohne Zweifel um Rath zu halten, was bei so critischen Zeitläufen zu tun sey?[41]
An dem Beispiel lässt sich erkennen, dass die Insulaner ihre Trommeln nicht nur für Tänze und andere musikalische Aufführungen nutzten, sondern auch als militärisches Mittel. Über diese Funktion von Musik wird in Bemerkungen ebenfalls über die Neuseeländer berichtet:
Sie beginnen sogar ihre Gefechte mit kriegerischem Tanz und Gesang.[42]
In einer näheren Ausführung zum neuseeländischen »Schlachtgesange« schreibt Johann Reinhold Forster:
Die Neuseeländer pflegten uns zuweilen mit ihrem Schlachtgesange zu unterhalten. Einer stimmte ihn an, und stampfte dabey heftig mit den Füssen, machte allerley Bewegungen und Gebehrden dazu, und schwenkte seine Streitaxt. Am Ende jeder Strophe folgte eine Art von Ritornell, in welches der ganze wilde Haufen, als Chor, mit lautem gräßlichen Geschrey einstimmte. Dadurch erhitzen sie sich bis zu einem gewissen Grade von Raserey, welches der einzige Gemüthszustand ist, in dem sie handgemein werden.[43]
Auffällig ist abermals die wiederholte Verwendung von Begriffen aus der europäischen Musiktheorie: Forster spricht von Strophen, einem wiederkehrenden Ritornell und einem Chor, was eigentlich nicht so recht mit diesem angeblichen »wilde[n] Haufen« und »gräßlichen Geschrey« zusammenpassen will. Um die Erfahrungen wiederzugeben, benötigt er anscheinend auch hier ein Begriffswerkzeug, das ihm und seinen Lesern bekannt ist.
Neben seiner Abwertung der wahrgenommenen Musik scheint doch die Äußerung interessant, dass sich die Neuseeländer über die Musik in einen Zustand versetzen könnten, der sich stark von ihrem eigentlichen, von Forster attestierten Wesen abhebt: Dies sei der »einzige Gemüthszustand«, der sie »handgemein« werden ließe. Wie diese Bösartigkeit aussah, lässt er im Dunkeln. Doch bleibt für ihn die Erkenntnis, dass sich die Neuseeländer über die Musik in einen aggressiven Zustand versetzen und für ein mögliches Gefecht rüsten konnten.
Eine weitere Episode handelt von einer Hochzeit auf Tahiti, der die Forsters aber nicht selbst beiwohnten. Dennoch gibt der ältere Forster in Bemerkungen die Szenerie wieder, wie sie von einem Landsmann auf Tahiti gesehen worden sein soll.[44] Dieser hätte beobachtet, wie während der Trauungsprozedur zehn bis zwölf Personen, vor allem Frauen, …
umherstanden, und einige Worte in einem singenden Tone, als Recitative, hersagten. Zwischen den Absätzen dieses Gesanges antworteten Maheine und seine Braut durch kurze Formeln.[45]
Kann den Aussagen des unbekannten Zeugen vertraut werden, dann wäre die Vokalmusik ein Ritualbestandteil tahitianischer Hochzeiten gewesen. Mehr erfährt der Leser leider nicht zu dem musikalischen Anteil an der Prozedur.
Ein weiterer, von Johann Reinhold Forster selbst beobachteter Anlass, bei dem Musik eine wichtige Rolle spielte, war ein Begräbnis auf der Insel O-Tahà, das denn auch etwas präziser beschrieben wird:
Auf der Insel O-Tahà war ich bey einem Begräbniße zugegen, wo drey kleine Mädgen tanzten, und drey Mannspersonen Zwischenspiele vorstellten. Zwischen den Aufzügen traten die Freunde und Verwandten (Hea-biddi) des Verstorbenen, vom Kopf bis auf die Füsse bekleidet, paarweise vor den Eingang der Hütte, jedoch ohne hineinzugehen. Darauf ward der Platz auf welchem das Schauspiel vorgestellt worden war, ein Fleck von 30 Schuh in Länge, und acht Schuh in der Breite, mit Zeug belegt, und dieses dem Trommelschlägern, die während der Vorstellung Musik gemacht hatten, zum Geschenke gegeben. […] nur so viel erfuhr ich, es sey gebräuchlich, daß, bey dem Absterben vornehmer Leute, der erste Leidtragende, zur Begräbnißfeyer in dem weitr oben beschriebenen Trauerkleide umher gehe, und daß Schauspiele, von Tänzen und Gesängen begleitet, angestellet würden.[46]
Die Darstellung der Szenerie zeigt auf, dass eine musikalische Umrahmung des Begräbnisses zum Ritual der Bevölkerung auf O-Tahà gehörte. Anscheinend handelte es sich hierbei um die Beerdigung eines Menschen hohen Ranges innerhalb der Gesellschaft. Wahrscheinlich wurde auch nur Bewohnern mit hohem Ansehen solch eine musikalisch garnierte Trauerfeier zuteil. Forster erwähnt auch hier die Trommelspieler, die während des Rituals Musik machten. Dass sie das niedergelegte »Zeug« geschenkt bekamen, kann als Zeichen der Achtung gegenüber den Musikern gewertet werden. Auch die Feststellung, Musiker hätten nur bei außerordentlichen Zeremonien mitgewirkt, unterstreicht die Annahme ihrer gesellschaftlichen Stellung.
Doch treten in der Darstellung nicht nur Trommler auf, sondern ebenso drei tanzende Mädchen und drei Männer, die die »Zwischenspiele vorstellten«. Was mit diesen Zwischenspielen tatsächlich gemeint ist, bleibt dem Leser verschlossen. Dass es sich bei diesem Begräbnis jedoch um eine Veranstaltung gesellschaftlichen Rangs, von einem größerem künstlerischem Programm umrahmt, handelte, wird deutlich. Der Musik wurde demnach ebenso auf O-Tahà große Bedeutung zugesprochen.
Bei zusammenfassendem Blick auf die beschriebenen Musikfelder im Leben der Gesellschaften fällt auf, dass der Stellenwert von Musik bei den bereisten Kulturen hoch gewesen sein muss und die Forsters dies bereitwillig dokumentieren. Sowohl im alltäglichen Leben als auch zu besonderen Anlässen wurde ihren Berichten zufolge musiziert – zumeist in Verbindung mit Tänzen, die freilich nicht selten als anzüglich beschrieben werden. Wertungen treten bei den Beschreibungen zur Musik im Leben der Gesellschaften ansonsten zurück. Vielmehr wird von den Forsters versucht, die Begebenheiten möglichst ›objektiv‹ wiederzugeben, auch wenn immer wieder Einwürfe subjektiver Wahrnehmungen erkenntlich sind.
Die Untersuchung zeigt zunächst, dass das Thema Musik nur in recht wenigen Passagen der Werke Reise um die Welt und Bemerkungen behandelt wird. Auch rücken nicht alle, sondern nur wenige Inselvölker diesbezüglich in den Fokus: Vor allem den Berichten zu Neuseeland und Tahiti sind Ausführungen zur Musik der fremden Kulturen zu entnehmen. Mit Blick auf die tatsächlich verbrachte Zeit vor Ort verwundert dieser Befund nicht, verweilte Cooks Mannschaft doch während zweier Aufenthalte über fünf Wochen auf Tahiti und noch deutlich länger auf Neuseeland.[47] Weshalb ebenfalls länger besuchte Inseln wie bspw. Huaheine oder die Fidschi-Inseln nicht in die Musikbeschreibungen aufgenommen wurden, lässt sich anhand der Schriften nicht erklären – schließlich ist nicht davon auszugehen, dass die Bevölkerung dort keinerlei Musik praktizierte. Wahrscheinlich ist der Grund in der wissenschaftlichen Ausrichtung der Forsters zu finden: Ihr Forschungsschwerpunkt lag auf der Botanik sowie Ethnographie und nicht auf der Musik fremder Kulturen. Demzufolge ist fast zwangsläufig der Anteil von Musikbeschreibungen gegenüber anderen Feldern nachgestellt und in einigen Inselbeschreibungen schlicht weggelassen worden.
Dennoch lassen sich einige Ergebnisse zur Musikrezeption bei Forster anhand ihrer Beschreibungen eruieren: Da ist zum einen die Art der Beschreibung, bei der die Verwendung von europäischen Musikbegriffen bei beiden Autoren auffällig ist. Begriffe wie Rezitativ, Vers, Strophe usw. zeugen von dem Drang, die Fremdheitserfahrung mit den sicheren Begriffen der Heimat zu beschreiben. Das dient nicht nur dem Autor, sondern erleichtert auch dem europäischen Zeitgenossen die Imagination des Fremden. Dass Johann Reinhold Forster häufiger auf die landesüblichen Bezeichnungen von Tänzen, Gesängen etc. eingeht, verwundert bei seiner Intention der Abfassung einer wissenschaftlichen Arbeit selbstverständlich nicht.
Zum anderen tragen die Beschreibungen inter- wie auch intragruppale Vergleiche in sich. Zu ersterem können jene zur europäischen Musik gezählt werden, die sich beispielsweise bereits indirekt in den genutzten europäischen Musikbegriffen oder direkt am Beispiel der festgestellten Improvisationskunst der Südländer, die jener Europas nicht nachstehe, auszumachen sind. Intragruppale Vergleiche werden von den Forsters dort vorgenommen, wo sie die festgestellten Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den fremden Kulturen benennen, u. a. bei Johann Reinhold Forsters Versicherung, die Vokalmusik der Tahitianer wäre jener der Einwohner Tannas und Neuseelands qualitativ nachzustellen.
Beim fokussierten Blick auf die wenigen Passagen Forsterscher Musikrezeption fällt der hohe Ausbreitungsgrad und Stellenwert von Musik im Leben der diesbezüglich beschriebenen Kulturen auf, den die beiden Chronisten beschreiben. Sowohl im Kontext des Alltagslebens als auch von Feierlichkeiten wird der Musik auf mehreren Inseln eine besondere Bedeutung zugemessen. Ihre Funktion lag sowohl in dem gemeinschaftlichen Ritual des Alltags als auch in der Umrahmung von Hochzeiten (Tahiti), Begräbnissen (O-Tahà) oder in der Vorbereitung eines Gefechts (Neuseeland).
Bezüglich den Forsterschen Ausführungen zu den Instrumenten ist festzuhalten, dass diese nur selten Gegenstand musikalischer Beschreibungen sind. Nach diesen zu urteilen, kamen die beiden Forscher nur mit wenigen exotischen Instrumenten in Kontakt. Hier sind vor allem die tahitianischen Flöten zu nennen, die mit der Nase geblasen wurden. Von der Begegnung mit fremden Harmonieinstrumenten berichten die Autoren nahezu gar nichts. Musiziert worden sei mit Flöten, vor allem aber mit Trommeln und der menschlichen Stimme. Besonders auffällig ist den Berichten zufolge die Bedeutung des Tanzes, der anscheinend bei musikalischen Aufführungspraktiken zu verschiedensten Anlässen auf den Inseln praktiziert wurde. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Musik auf den meisten beschriebenen Inseln nach Ansicht der Forsters ungewohnt rhythmusbetont, weniger harmonie- als melodiereich gewesen sein musste und überwiegend im Zusammenwirken mit Tänzen aufgeführt wurde.
Zuletzt sei noch auf die Forstersche Sicht auf die Völker und die Bewertung des Reifegrades derer Musik eingegangen: Sowohl in der Reise um die Welt als auch in den Bemerkungen werden die Insulaner als Menschen angesehen, was damals noch immer alles andere als üblich war. Durch den Vergleich der tahitianischen Musik mit jener der Griechen werden sie und ihre Kunst gar in eine gemeinsame Traditionslinie mit den Europäern gestellt. Nur seien sie unterschiedlich weit entwickelt und hätten allesamt noch nicht das Stadium der Europäer erreicht; es bleibt offen, ob die Inselvölker nach Meinung der Forsters zu einer Entwicklung und einer Geschichtlichkeit überhaupt in der Lage seien. Die weniger entwickelten Techniken in verschiedenen Bereichen der Völker seien aber durchaus auch von Vorteil für deren Mentalität gewesen. So soll ein Zitat aus den Bemerkungen den Abschluss dieser Studie bilden, das Johann Reinhold Forsters Rekapitulation seiner „Allgemeine[n] Übersicht über das Glück der Insulaner im Südmeere“ entnommen ist und ihn voller Respekt für die Insulaner zeigt:
Indeß die Knaben und Mädgen mit Tanz und Gesang sich ergötzten, und die reifere Generation an ihren Freuden thätigen Antheil nahm, entdeckten wir oft im sanften, freudigheitern Blick des ehrwürdigen Alten, ein stummes Zeugniß ihres und seines Glücks. Daher sind wir auch völlig überzeugt, daß diese Insulaner einen Grad von Zufriedenheit geniessen, den man, bey mehr gesitteten Völkern, selten bemerkt, und der desto schätzbarer ist, je allgemeiner er sich auf jeden Mitbürger erstreckt, je leichter er erreichbar ist, und je genauer er mit der gegenwärtigen Verfassung des Volks zusammenstimmt, welches, für höhere Stufen der Glückseligkeit, noch nicht empfänglich ist.[48]
Nachweise und Anmerkungen
[1] Das Wort »Reise« stammt laut Duden vom althochdeutschen »risan«, das u. a. »sich erheben« bedeutet (http://www.duden.de/rechtschreibung/Reise. zuletzt eingesehen am 23. Juni 2014).
[2] Vgl. Moennighoff, Burkhard et al.: Vorwort, zu ders. et al. (Hrsg.): Literatur und Reise, Hildesheim 2013, S. 5.
[3] Ortheil, Hanns-Josef: Schreiben und Reisen. Wie Schriftsteller vom Unterwegs-Sein erzählen, in: Moennighoff, Burkhard et al. (Hrsg.): Literatur und Reise, Hildesheim 2013, S. 7.
[4] Kalb, Gertrud: Travel Literature Reinterpreted. Robinson Crusoe und die religiöse Thematik der Reiseliteratur, in: Anglia. Zeitschrift für englische Philologie 101 (1983), S. 407.
[5] Ebenda, S. 410.
[6] Johann Reinhold Forster: “The thirst of knowledge, [and] the desire of discovering new animals new plants […]”, zitiert nach: Kaeppler, Adrienne: Die ethnographischen Sammlungen der Forsters aus dem Südpazifik. Klassische Empirie im Dienste der modernen Ethnologie, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 59.
[7] Dass die doppelte Einholung der Artefakte tatsächlich der Intention des Weiterverkaufs geschuldet ist, ist wahrscheinlich, aber nicht belegbar. Vergleiche hierzu: Kaeppler, Adrienne L.: Die ethnographischen Sammlungen der Forsters, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 63.
[8] von Hoorn, Tanja: Dem Leibe abgelesen. Georg Forster im Kontext der physischen Anthropologie des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2004, S. 22.
[9] Neubauer, Barbara: Nachwort, in: Forster, Georg: Reise um die Welt, hrsg. von Barbara Neubauer, Berlin 1960, S. 646.
[10] Der Astronom der zweiten Cook-Reise, William Wales, Lord Sandwich und ein Rezensent der Göttinger Gelehrten Anzeigen erhoben diese Vorwürfe. Hierzu: Neubauer, Barbara: Nachwort, in: Forster, Georg: Reise um die Welt, hrsg. von Barbara Neubauer, Berlin 1960, S. 646.
[11] Ebenda, S. 645.
[12] Hoare, Michael E.: Die beiden Forster und die pazifische Wissenschaft, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 30.
[13] Als Quellen fungieren die jeweils deutschen Ausgaben der Werke – Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen über Gegenstände der physischen Erdbeschreibung, Naturgeschichte und sittlichen Philosophie auf seiner Reise um die Welt gesammelt, Berlin 1783; Forster, Georg: Reise um die Welt, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften Berlin (Hrsg.), Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Streitschriften und Fragmente zur Weltreise, 2 Bde., Berlin 1972.
[14] Zu den Musikinstrumenten wird hier auch die menschliche Stimme gezählt.
[15] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 198.
[16] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 246.
[17] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 405f.
[18] Forster, Georg: Reise um die Welt, 2. Teil, S. 248ff.
[19] Allerdings wird jenes Instrument weder in der Reise um die Welt noch in den Bemerkungen explizit beschrieben.
[20] Wie oben erwähnt, kauften die Forsters in der Regel lediglich zwei Exemplare. Vgl. Kaeppler, Adrienne L.: Die ethnographischen Sammlungen der Forsters, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 63.
[21] Auf den Tanz wird in Punkt 2.2 näher eingegangen.
[22] Hier werden neben den Wissenschaften explizit auch die Künste der bereisten Länder vorgestellt. Siehe: Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 375ff.
[23] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 406.
[24] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 403.
[25] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 406f. – Im Übrigen erscheint wenige Zeilen nach dem Zitat in Johann Reinhold Forsters Text der einzige Versuch, Liedabschnitte wiederzugeben. Dabei erfolgt, neben der Textaufzeichnung und -übersetzung, eine Notation des gesungenen Rhythmus in Form von über den Worten eingetragenen Strichen für die langen Noten und Punkten für die kurzen, eingeteilt wird das Notat durch Taktstriche. Siehe Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 407.
[26] Auf die verschiedentlichen Kontexte wird in Punkt 2.2 eingegangen.
[27] Der Begriff ›Alltag‹ kann hier nicht völlig problemlos gebraucht werden, da dieser durch die Anwesenheit von Cooks Crew beeinflusst wurde. Trotzdem soll hier zwischen Beobachtungen des Musikgebrauchs im ›normalen Leben‹ und dem ›besonderen Ereignis‹ unterschieden werden.
[28] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 306.
[29] Ebenda, S. 286.
[30] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 49. – Auf Madeira wird zum einzigen Mal und nahezu beiläufig eine Gitarre als begleitendes Instrument benannt.
[31] Forster, Georg: Reise um die Welt, S. 279; ebenfalls zu dieser Insel: Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 358; siehe auch für die Bewohner von Mallikolo: Forster, Georg: Reise um die Welt, 2. Teil, S. 164.
[32] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 207.
[33] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 412; ebenfalls zur angeblichen Anzüglichkeit tahitianischer Frauen: Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 278.
[34] Vgl. Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 321.
[35] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 322.
[36] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 405.
[37] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 323. – Ähnlich in Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 405.
[38]Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 323f. Bei Johann Reinhold Forster überwiegen beinahe seine Ausführungen zu den Mundbewegungen. Diese seien »nichts als die häßlichste Verunstaltung«, »wiedrig und eckelhaft«. Siehe Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 405.
[39] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 323. Johann Reinhold Forster hebt auch die »Geschicklichkeit und Zierlichkeit« der Fingerbewegungen hervor. Er begründet dies mit ihren anatomischen Voraussetzungen, wonach ihre Finger »fast durchgehends lang gut proportioniert, und zugleich so angenehm biegsam« seien. Siehe Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 404. Gut ersichtlich ist in dieser Passage auch der wissenschaftliche Anspruch des älteren Forsters, der immer wieder die landesüblichen Termini wiederzugeben versucht. So nennt er u. a. die Bezeichnung für die galanten Fingerbewegungen, »Eorre«. Siehe Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 404.
[40] Forster, Georg: Reise um die Welt, 1. Teil, S. 324.
[41] Forster, Georg: Reise um die Welt, 2. Teil, S. 167.
[42] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 286.
[43] Ebenda, S. 412.
[44] Ebenda, S. 483f.
[45] Ebenda, S. 484.
[46] Ebenda, S. 412f.; ebenfalls Bezug nehmend auf die Situation, aber keine neuen Erkenntnisse zur Musik: ebenda, S. 490.
[47] Neben der langen Zeit auf See ist die teilweise sehr kurze Verweildauer auf anderen Inseln zu beachten. Eine chronologische Auflistung der bereisten Inseln ist zu finden in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.): Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Bd. 3, bearb. von Gerhard Steiner, Berlin 1966, S. 453–455.
[48] Forster, Johann Reinhold: Bemerkungen, S. 509. Hier behandelt er die Bewohner Tahitis stellvertretend für die bereisten Völker.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Forster Johann Reinhold: Bemerkungen über Gegenstände der physischen Erdbeschreibung, Naturgeschichte und sittlichen Philosophie auf seiner Reise um die Welt gesammelt, Berlin 1783.
Forster, Georg: Reise um die Welt, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften Berlin (Hrsg.), Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Streitschriften und Fragmente zur Weltreise, 2 Bde., Berlin 1972.
Literatur
Hoare, Michael E.: Die beiden Forster und die pazifische Wissenschaft, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 29–44.
von Hoorn, Tanja: Dem Leibe abgelesen. Georg Forster im Kontext der physischen Anthropologie des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2004.
Kaeppler, Adrienne: Die ethnographischen Sammlungen der Forsters aus dem Südpazifik. Klassische Empirie im Dienste der modernen Ethnologie, in: Klenke, Claus-Volker (Hrsg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive, Berlin 1994, S. 59–76.
Kalb, Gertrud: Travel Literature Reinterpreted: Robinson Crusoe und die religiöse Thematik der Reiseliteratur, in: Anglia. Zeitschrift für englische Philologie 101 (1983), S. 407–420.
Moennighoff, Burkhard et al., Vorwort, in: Moennighoff, Burkhard et al. (Hrsg.): Literatur und Reise, Hildesheim 2013, S. 5f.
Neubauer, Barbara: Nachtwort, in: Forster, Georg: Reise um die Welt, hrsg. von Barbara Neubauer, Berlin 1960, S. 635–652.
Ortheil, Hanns-Josef: Schreiben und Reisen. Wie Schriftsteller vom Unterwegs-Sein erzählen, in: Moennighoff, Burkhard et al. (Hrsg.): Literatur und Reise, Hildesheim 2013, S. 7–31.