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Johann Christian Brandes, Georg Anton Benda und das Melodram „Ariadne auf Naxos“ von 1775

Anlässlich der Aufführung des Melodrams “Ariadne auf Naxos” von Johann Christian Brandes und Georg Anton Benda an der HMT Leipzig im April 2013 entstand dieser Programmhefttext von Michaela Bieglerová.

Die Geschichte des griechischen Mythos von Theseus und Ariadne, der Tochter des kretischen Königs Minos, faszinierte schon lange vor Bendas Melodram Künstler aller Sparten. Ariadnes Schicksal bildete die Vorlage vieler bekannter Werke und inspirierte so bekannte Maler wie Tizian, Peter Paul Rubens und viele andere. Aber nicht nur die Malerei und die Bildhauerkunst griffen den Stoff auf. Auch in der Musik erwachte die Geschichte immer wieder zum Leben, so zum Beispiel in Claudio Monteverdis L’Arianna von 1608 oder in Georg Friedrich Händels Ariadna von 1733.

Die griechische Mythologie überliefert mehrere Versionen der Geschichte und lässt das Ende des Mythos teilweise unerklärt – weshalb Theseus Ariadne auf Naxos zurücklässt, bleibt letztlich im Dunkeln. Bendas Librettist Johann Christian Brandes wählte gerade diese finalen Momente der Handlung für sein Textbuch aus, das auf einer ursprünglich für Weimar geschriebenen Kantate beruhte. In der Vorrede seiner Sämtlichen dramatischen Schriften (Hamburg 1790, neu hrsg. als Meine Lebensgeschichte von Willibald Franke, München 1923) schrieb er zur Entstehung des Textes selbst:

Um […] meiner Gattinn, welche sich durch natürliche Talente und Studium in ihrer Kunst zu dem Range einer beyfallswürdigen Schauspielerinn emporgeschwungen hatte, Gelegenheit zu geben, sich in einer ihren Kräften angemessenen glänzenden Rolle zeigen zu können, schrieb ich das Duodrama »Ariadne auf Naxos«, nach dem Inhalte der bekannten Cantate gleichen Namens, von unserm vortrefflichen Dichter Herrn von Gerstenberg […]. Durch den schmeichelhaften Beyfall, womit die verwittwete Herzogin von Weimar dieß kleine Schauspiel beehrte, ermuntert, gab ich es Schweitzern [Anton Schweitzer] zur Composition. Er arbeitete daran mit Fleiß und Glück, und hatte bereits einige Proben dieses musikalischen Fragments in Gegenwart verschiedener Musikkenner mit dem größten Beyfall aufgeführt, als der unglückliche Schloßbrand in Weimar dem dortigen Schauspiel ein Ende machte, und zugleich eine gänzliche Störung aller Kunstgeschäfte verursachte. Schweitzers musikalisches Meisterwerk blieb unvollendet.

Weiter berichtet Brandes, Schweitzer habe die ursprünglich für Ariadne geschriebene Musik dann 1773 in seiner Alceste verwendet. Gleich nach Brandes’ Ankunft in Gotha habe Georg Anton Benda das noch immer unkomponierte Libretto gelesen

und empfahl das Stück der Durchl. Herzoginn und der weiland Durchl. Prinzessinn Luise. Beyde erhabne Kennerinnen beehrten den Text mit den schmeichelhaftesten Lobsprüchen und wünschten es baldmöglichst mit Musikbegleitung auf der Bühne vorgestellt zu sehn.

Da Schweitzer gerade anderweitig beschäftigt war,

wurde an dessen Stelle Benda aufgefordert, die Composition dieses Duodrama zu übernehmen. Der Durchlauchtige Herzog gab selbst die Idee zu der Kleidung Ariadnens nach altgriechischem Geschmack an; die Dekoration zur Vorstellung wurde zweckmäßig geordnet; in einigen Wochen hatte auch Benda die Composition vollendet, und so wurde diese neue Erscheinung im Januar 1775 in Gotha zum erstenmale, in Gegenwart des ganzen Hofes, auf dem Hoftheater vorgestellt, und mit dem größten Beyfall aufgenommen.

Brandes’ Libretto schildert nicht so sehr die äußere Handlung der Geschichte von der verlassenen Ariadne, sondern lässt das Publikum das innere Drama des Liebespaares erleben. Ausgedrückt werden die Gedanken und Gefühle des Theseus, der, um sie zu beschützen, Ariadne gerade trotz seiner Liebe zu ihr verlassen muss, und die der wehrlosen Ariadne, die im Traum schon eine schlechte Vorahnung des Geschehens erhält. Damit bietet das Libretto eine Deutung der Motivation Theseus’ an, die im Mythos offen bleibt. Brandes lässt sich hingegen nicht von der Version der Geschichte inspirieren, nach der Ariadne verlassen wird, damit sie Bacchus bzw. Dionysos heiraten könne – obwohl gerade diese Interpretation oft in der Bildenden Kunst zum Thema geworden war, beispielsweise in Jacopo Tintorettos Gemälde Bacchus und Ariadne von 1576/78:Tintoretto

Im Vorbericht zum Libretto schreibt Brandes zu seiner neu gefundenen Begründung:

Diese, größtentheils nach dem Diodor ausgezeichnete Fabel, ist in gegenwärtigem Duodrama dahin abgeändert, daß Theseus nicht den höchsten Grad von Undankbarkeit gegen Ariadnen äußert; er verläßt sie nicht so wohl aus Leichtsinn, als vielmehr ihr Leben gegen die Wuth der auf Naxus angelandeten Griechen in Sicherheit zu setzen.

Trotz dieser Änderung entbehrt das Libretto nicht der Wirkung von schicksalhaften, himmlischen oder göttlichen Kräften. Somit wird die Erzählung nicht zum Märchen, sondern behält den Charakter des Mythos:

THESEUS. Ariadne!

Er will sie umarmen, fährt aber zurück.

Welche Gewalt, welche unwiderstehbare Zauberkraft reißt mich zurück?

Will es das Schicksal?

Indem Brandes auf den Ausdruck der Gefühle, des inneren Affektes der Personen, fokussiert, entwickelt er die antike Geschichte aus einem zeitgemäß empfindsamen Blickwinkel neu. Die Antike wird rezipiert, indem Brandes sie für die Ausdrucks- und Gefühlswelt seiner Zeit aktualisiert.

Die erste Aufführung von Bendas Musik zu Brandes’ Melodram erfolgte am 27. Januar 1775 im Schlosstheater Gotha. Die Darsteller waren Brandes Frau Charlotte als Ariadne und Michael Boek als Theseus. Der Hof unterstützte das Vorhaben nach Kräften: Die Herzogin beförderte das Manuskript zum Druck, der Weimarer Maler Georg Melchior Kraus fertigte für Herzog Ernst Skizzen aus, Kostüme und Dekorationen wurden in der damaligen Vorstellung des altgriechischen Stils gestaltet. Nicht nur die Leistungen von Benda und Brandes wurden nach den Aufführungen gelobt, auch die Schauspieler erhielten glänzende Kritiken. August Wilhelm Iffland hielt fest: »Dies war ein Tag des Ruhms für Mme Brandes« (Dramatische Werke, Leipzig 1798, S. 104).

Die Häufigkeit der Aufführungen demonstriert den großen Erfolg von Ariadne aus Naxos. Allein in Gotha war Ariadne zwischen 1775 und 1779 17 Mal zum hören. Weitere 36 Vorstellungen kam in Berlin dazu, die so gut besucht waren, dass das Melodram in das größere Monbijoutheater verlegt werden musste, wo 49 zusätzliche Wiederholungen folgten. Ariadne auf Naxos wurde eine Inspiration für andere Komponisten und veränderte den Umgang mit der Konzeption von Rezitativen. Aber es wurde auch Kritik laut. In seinen Sämtlichen Schriften schilderte Brandes rückblickend die kontroverse ästhetische Debatte, die Benda und er mit Ariadne auf Naxos losgetreten hatten:

Bey allem Beyfall, den dieß Stück, sogleich bey seiner ersten Erscheinung, erhielt, fand es auch strenge Tadler. Sie nannten einen mit Musik verwebten prosaischen Text, der nicht gesungen sondern gesprochen wurde, Unsinn – und sie hatten, wie ich weiter unten bemerken werde, gewissermaßen Recht. Andre behaupteten das Gegentheil, glaubten daß der Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften durch diese musikalischen Zwischensätze mehr Leben und Kraft gewänne. Man stritt und kämpfte, sprach und schrieb so lange für und wider die Sache, bis man endlich darin übereinkam, ein Melodrama wäre zwar Unsinn, aber ein sehenswürdiger anziehender Unsinn, der trotz aller Kritik auf der Bühne eine große Wirkung hervorbrächte […].

Diese »große Wirkung« wollte Brandes dann auch nicht für sich allein reklamieren, sondern war sich sowohl seiner Vorbilder als auch der essenziellen Rolle von Bendas Musik am Erfolg der Ariadne bewusst:

Den durch dieß Stück erworbenen Beyfall muß ich billig mit meinem alten Freunde Benda theilen; auch fordert die Wahrheit das Geständniß, daß ich mir nicht die Ehre der Erfindung dieser neuen Gattung von Dramen zueignen kann; diese gehört eigentlich dem berühmten Rousseau, der schon einige Zeit zuvor seinen Pygmalion, das erste Stück dieser Art, schrieb […]. Nur bin ich der Erste unter den deutschen Dichtern, welcher es wagte, diese Gattung Schauspiele auf die vaterländische Bühne zu bringen.

Michaela Bieglerová


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