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TV-Musik: »Westworld«

Christina Jany

Musik als Indikator für die Künstlichkeit in Westworld

Ein Saloon. Ein mechanisches Klavier. Die Notenrolle beginnt sich zu drehen. Klavierhämmer schlagen auf verstimmte Saiten, spielen ein stampfendes Thema. Cut. Prärie. Eine Dampfeisenbahn fährt in eine holzgebaute, staubige Kleinstadt. Frauen in ausgestellten, viktorianischen Kleidern und Männer mit Colts, Sporen und Cowboyhüten steigen aus. Ein neuer Tag im Wilden Westen beginnt.

Doch all dies ist nicht echt. Es ist eine Kulisse und – wie das mechanische Klavier, welches nun von selbst spielt – bloß eine perfekte Imitation dessen, was einst echt war. Die Tarnung ist so gut, dass man Gefahr läuft, zu vergessen, dass es sich um eine künstlich erschaffene Welt handelt: den fiktiven Freizeitpark Westworld der ebenso fiktiven Firma Delos.

Die gleichnamige Serie handelt von diesem Park, dessen Besonderheit neben seiner extremen Weitläufigkeit die über 2.000 Roboter (»Hosts«) sind, die ihn bevölkern. Wohlhabende Besucher*[1] (»Guests«) haben die Möglichkeit, in über 100 geloopten Storylines Abenteuer des »Wilden Westens« nachzuspielen, ohne dass ihnen dabei echte Gefahr droht. Die Hosts sind so programmiert, dass sie echten Menschen nichts anhaben, während die »echten« Menschen die Roboter ohne Konsequenzen benutzen, vergewaltigen und töten können. Das »Gedächtnis« der Hosts wird nach jedem Tod oder dem Ende jeder Loop gelöscht; sie »wachen« dann vollständig genesen zu Beginn der Loop wieder auf, das mechanische Klavier spielt die ersten Töne und der Tag in Westworld beginnt von Neuem.

Währenddessen spielt eine zweite Handlung im Kontrollzentrum des Parks. Dort sitzt die Firma Delos, deren eigentliche Motive für das Betreiben des Parks tiefer gehen zu scheinen als das bloße Anbieten grenzenloser Vergnügungen. Hier werden die Hosts repariert, gesäubert, zugenäht und programmiert.

Ein neu installiertes Update, genannt »Rêverie«, welches eine Verknüpfung von kleinen Bewegung mit Erinnerungen der Hosts ermöglicht, sorgt zu Beginn der Serie für Unruhen. Wie in der filmischen Vorlage von Michael Crichton[2] aus dem Jahr 1973 scheinen einige Hosts eine Art Unterbewusstsein oder eigenen Willen zu entwickeln. Es stellt sich die Frage, wo Identität beginnt und was es – unter diesen Voraussetzungen – bedeutet, menschlich zu sein.

Neben dieser philosophischen Problematik machte die Serie nach ihrem Erscheinen im Jahr 2016 auch wegen der außergewöhnlichen und vielschichtigen Verwendung ihrer Serienmusik von sich reden. In ihr lassen sich bewusst eingesetzte Hinweise auf die Künstlichkeit dieser menschengemachten »Neuen Welt« finden.

* * *

Der Komponist Ramin Djawadi benutzt in dieser zweiten Zusammenarbeit mit HBO[3] für den Soundtrack der Serie drei verschiedene musikalische Elemente:

  1. Er schrieb ca. 24 eigene Kompositionen,[4] die einen Großteil der extradiegetischen[5] Musik der Serie ausmachen. Für diese benutzt er Leitmotive, um Orte und Personen der Serie darzustellen oder zu charakterisieren. Eine Unterscheidung zwischen dem Park und der Welt außerhalb trifft er, indem er für die Musik beider Orte verschiedene Instrumentierungen benutzt: In der (extradiegetischen) Musik des Parks[6] hört man akustische und elektrische Gitarren, Klaviersounds und vermehrt Orchesterinstrumente, während besonders Synthesizer und künstlich erzeugte Klänge, sowie getragene, düstere Streicher- und Klaviersounds die Labore und Welt außerhalb des Parks untermalen.
  2. Neben diesen Neukompositionen machen außerdem die Verwendung bekannter klassischer Musikstücke im Original (u. a. Rêverie und Claire de Lune von Claude Debussy, Habanera aus der Carmen-Suite von Georges Bizet und der Walzer aus Schwanensee von Pjotr Tschaikowsky) sowie
  3. zehn eigens adaptierte Popsongs den Soundtrack der Serie aus.

Diese zehn Popsong-Cover (nach Radiohead, Amy Winehouse, Nine Inch Nails, Soundgarden, The Animals und The Rolling Stones) sind in unterschiedlicher Form zu hören. Sechs von ihnen erklingen diegetisch[7] und werden von dem bereits erwähnten mechanischen Klavier im Saloon des Ankunftsortes Sweetwater gespielt. Die restlichen vier Songs sind wiederum extradiegetisch als Orchester- bzw. Streicherbearbeitungen zu hören.

Die Auswahl der Songs erfolgte nicht willkürlich, schließlich mussten teure Lizenzen bezahlt werden.[8] Ausgesucht wurden sie von Showrunner Jonathan Nolan,[9] laut eigener Aussage einem großen Radiohead-Fan,[10] was erklären kann, warum gleich vier Coversongs dieser Band im Soundtrack vorkommen, der Song No Surprises sogar in zwei unterschiedlichen Versionen.

Wie bei diesem Song, ist es auch bei einigen anderen schon allein der Titel, der eine signifikante Verbindung zum Seriengeschehen darstellt. Oft liegt aber auch in den Songtexten der Originalversion ein Verweis auf die entsprechende Szene oder auf eine darin handelnde Person. Die Texte selbst kommen zwar in den instrumentalen Coverversionen nicht vor, können aber als ein versteckter Hinweis auf das Innenleben der Hosts oder auch auf die zukünftige Handlung verstanden werden.

So erklingt No Surprises als Klaviercover im Saloon, als dem dort »arbeitenden« Host Maeve bewusst wird, dass sie sich in einem sich wiederholenden Loop befindet, also alles schon mehrmals so erleben musste. Ebenso hört man den Amy-Winehouse-Song Back to Black mit der für die Hosts so symbolhaften Zeile »I died a hundred times«.

Mit dieser Musik, gespielt vom mechanischen Klavier im Saloon, wird die sonst so perfekte Westernkulisse durchbrochen, denn es erklingen nicht nur zeitgemäßere Ragtimes von Scott Joplin,[11] sondern Popsongs aus unserem heutigen Hörhorizont. Dies ist ein Hinweis auf die Künstlichkeit der Welt für den Zuschauer* sowie den interseriellen Parkbesucher*:

»It just reminds you that something is not right here. It’s all fake.«

Ramin Djawadi[12]

Vorwegnahmen der Handlung lassen sich in den extradiegetischen, für Streicher oder Orchester bearbeiteten Songs finden. Beispielsweise verrät der ebenfalls von Radiohead stammende Titel Exit Music (for a Film) schon zu Beginn der finalen Szene der letzten Folge die folgende Auflösung, in der – wie im Songtext vorweggenommen – die ›Hölle auf Erden‹ losbricht.

»Wake from your sleep. […] Today we escape.

Pack and get dressed before your father hears us, before all hell breaks loose. […] You can laugh a spineless laugh. We hope your rules and wisdom choke you. Now we are one in everlasting peace.«

Radiohead, Exit Music (for a Film)

Auch die Auswahl der klassischen Musikstücke verdeutlicht Westworlds Künstlichkeit. Das zeigt sich besonders in einer später wiederkehrenden Szene am Ende von Folge 1, dem Überfall des Banditen Hector auf den Saloon in Sweetwater. Diese Szene kommt durch die Besonderheit der Handlung in sich wiederholenden Loops insgesamt dreimal in Staffel 1 vor, dabei jedoch jedes Mal mit unterschiedlicher Musik.

Ist es beim ersten Mal noch der orchestrierte Popsong Paint it Black (The Rolling Stones), so stehen in den zwei Wiederholungen der Szene aber klassische Titel, genauer Ausschnitte aus Ballett- bzw. Opernszenen: die Habanera aus der Carmen-Suite von Bizet sowie der Walzer aus Tschaikowskys Schwanensee. Das ist wiederum ein Hinweis für den Zuschauer*: Es passiert hier alles nicht wirklich, es ist eine durchkomponierte Choreographie.

Einen Sonderfall stellt Debussys Klavierstück Rêverie L. 68 dar. Es erklingt sowohl intra- als auch extradiegetisch mehrmals in der Serie und steht dabei symbolhaft für das mögliche Unterbewusstsein der Hosts beziehungsweise kann als die musikalische Manifestation des gleichnamigen Updates gedeutet werden. Dafür spricht, dass es erstmals in Folge 3 diegetisch im Büro des Gründers und Chefs des Parks, Dr. Robert Ford, erklingt, als er es von einem eigens für diesen Zweck programmierten Host spielen lässt. Später in der Serie ist es dann extradiegetisch in Rückblenden oder in Erinnerungen der Hosts an ihre früheren Leben zu hören. Tatsächlich wird in Folge 9 deutlich, dass Debussys Rêverie sogar in die Hosts einprogrammiert wurde.[13] Hier wird die Musik sowohl innerhalb der Handlung der Serie selbst als auch außerhalb für den Zuschauer* benutzt, um eine unterbewusste Verbindung einzelner Szenen herzustellen:

»The music is being controlled, and it’s being chosen for a reason. […] The great power of music is that something subconsciously happens when you listen to a piece of music, even if you don’t pay full attention to it. It just does something to us that nothing else can do, other than music.«

Ramin Djawadi

* * *

Zusammen mit dem mechanischen Klavier, das selbst schon als eine Allegorie der Hosts verstanden werden kann, ist die Verwendung der klassischen Musikstücke und Popsong-Cover eine bewusste und wiederkehrende Erinnerung an Westworlds Künstlichkeit. Dies ist gewollt und spiegelt sich in der innerhalb der Handlung der Serie aufgeworfenen Frage der Storywriter wider, ob die Perfektion des Parks und der Hosts, die mit jedem Update menschlicher werden, nicht zu weit gehe.

Es versteckt sich aber noch mehr in der passgenauen Auswahl der Popsongs sowie dem differenzierten Einsatz von Debussys Rêverie: In diesen Stücken lassen sich auch Zusatzinformationen und Vorwegnahmen der Handlung sowie Deutungen des Innenlebens der Hosts finden. Das geht so weit, dass die Musik durch die Rêverie selbst zum Teil des gesuchten Unterbewusstseins der Hosts wird. Damit wird die die Serie bestimmende Frage nach der bloßen Möglichkeit eines Innenlebens oder einer eigenen Identität der Hosts durch die Musik bereits deutlich vor dem eigentlichen Staffelfinale beantwortet.

 

Nachweise 

[1] Ich verwende ein * bei Begriffen, die alle möglichen Geschlechter mit einbeziehen.

[2] Bekannt vor allem für seine Romanvorlage für die Filme Jurassic Park (1990) und Westworld (1973).

[3] Es handelt sich um die zweite Zusammenarbeit nach Game of Thrones (ab 2011).

[4] <www.what-song.com/Tvshow/196/Westworld/s/739>.

[5] »Extradiegetisch«: nur außerhalb der Realität der Serie/des Films zu hören.

[6] Hier muss zwischen »extra«- und »intradiegetisch« unterschieden werden, da für die intradiegetische Musik innerhalb des Parks ausschließlich der Klang des mechanischen Klaviers verwendet wird.

[7] Diegetisch = auch in der Welt der Serie/des Films hörbar, einer Klangquelle innerhalb der Serie zuzuordnen.

[8] Vgl. Jason Lipshutz, Inside Westworld’s Rock Covers, 2016.

[9] Vgl. Gwilym Mumford, Play it again, 2016.

[10] Vgl. Jennifer Vineyard, Why You’ll Be Hearing a Lot of Radiohead on Westworld, 2016.

[11] <www.what-song.com/Tvshow/196/Westworld/s/739>.

[12] Vgl. Gwilym Mumford, Play it again, 2016.

[13] Vgl. Jennifer Vineyard, How Music Is Controlling the Hosts on Westworld, 2016.

 

Quellen und Literatur

Daub, Adrian: Westworld. Futter für die Junkies, in: Die Zeit, 2. Oktober 2016 <www.zeit.de/kultur/film/2016-09/westworld-hbo-serien-krise-serielles-erzaehlen/komplettansicht> (Abruf am 11. Februar 2018).

Kornhaber, Spencer: The Secret to Westworld’s Success Is in Its Music, in: The Atlantic, 8. Dezember 2016, <www.theatlantic.com/entertainment/archive/2016/12/westworld-soundtrack-ramin-djawadi-score-released/509969> (Abruf am 11. Februar 2018).

Lipshutz, Jason: Inside Westworld’s Rock Covers (And What Chris Cornell Thought of that Soundgarden Sync), in: billboard, 28. Oktober 2016, <www.billboard.com/articles/columns/rock/7557728/westworld-saloon-rock-covers-chris-cornell> (Abruf am 11. Februar 2018).

Locke, Charley: How Westworld’s Music Became Equal Parts Groundhog Day and MTV, in: Wired, 12. Februar 2016, <www.wired.com/2016/12/designing-westworld-music> (Abruf am 11. Februar 2018).

Mumford, Gwilym: Play it again, Ram: meet the man behind Westworld’s old-timey rock covers, in: The Guardian, 23. Oktober 2016, <www.theguardian.com/tv-and-radio/shortcuts/2016/oct/23/ramin-djawadi-westworld-old-timey-rock-song-piano-covers> (Abruf am 11. Februar 2018).

Vineyard, Jennifer: Why You’ll Hear Modern Songs Playing on Westworld, in: Vulture, 5. Oktober 2016, <www.vulture.com/2016/10/westworld-modern-songs.html> (Abruf am 11. Februar 2018).

Dies.: Why You’ll Be Hearing a Lot of Radiohead on Westworld, in: Vulture, 13. Oktober 2016, <www.vulture.com/2016/10/westworld-radiohead-music.html> (Abruf am 11. Februar 2018).

Dies.: How Music Is Controlling the Hosts on Westworld, in: Vulture, 23. November 2016, <www.vulture.com/2016/11/westworld-how-music-is-controlling-the-hosts.html> (Abruf am 11. Februar 2018).

Westworld Soundtrack, in: <www.what-song.com/Tvshow/196/Westworld/s/739> (Abruf am 11. Februar 2018).


1 Kommentar

  1. […] example, the study of Westworld revealed the use of popular song covers as suggesting multiple layers of interpretation for the […]

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