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TV-Musik: »Sherlock« und »House«

Sebastian Röpke und Franziska Schumacher

Sherlock Holmes und sein Doppelgänger

»The music is about the fireworks of his mind and his energy«,[1] beschreibt der Komponist Michael Price die musikalische Verwirklichung des Hauptcharakters in der BBC-Serie Sherlock (UK 2010ff.). Basierend auf der literarischen Vorlage von Sir Arthur Conan Doyle, aber ins moderne London versetzt, löst Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) als »Consulting Detective« mit Hilfe seines Freundes John Watson (Martin Freeman) Kriminalfälle, die aussichtslos scheinen. Michael Price und David Arnold, die Komponisten der Serienmusik, haben sich bereits durch zahlreiche Kompositionen für Filme und Serien einen Namen gemacht.

Auch die Serie House, M.D. (später House) (2004–2012) nutzt die gleiche Vorlage, doch wird sie hier auf ein medizinisches Umfeld adaptiert. Gregory House (Hugh Laurie), Nephrologe und Spezialist für Diagnostik, sucht dabei recht eigenwillig Lösungen für die schwierigsten Krankheitsfälle.

Dass sich die Hauptcharaktere im Kern nicht nur semantisch, sondern auch charakterlich, insbesondere auf musikalischer Ebene ähneln, möchten wir im Folgenden näher analysieren. Dabei wird die intra- und extradiegetische Musik in den Serien Sherlock und House, M.D. als Mittel der Charakterisierung eingesetzt. Wir konzentrieren uns vor allem auf die Serie Sherlock als ›vorlagentreuere‹ Variante, ziehen jedoch vergleichend die Serie House, M.D. hinzu, im Speziellen die Hauptfigur Gregory House.

Diegetische Musik in den Serien Sherlock und House, M.D.

In beiden Serien kommt dem diegetischen Ton eine tragende Rolle zu. Er lässt die Rezipienten nicht nur an der auditiven Wahrnehmung der Serienfiguren teilhaben, sondern stellt eine Verbindung zwischen Serienfigur und Zuschauern her. Dadurch wird den Zuschauern die Perspektive der Figuren zugänglich und nachvollziehbar. In Sherlock wird mit eben dieser Erfahrung gespielt: Extradiegetischer wird mit intradiegetischem Ton überblendet oder durch intradiegetische Geräusche unterbrochen. Ein Beispiel dafür ist die Szene, in der Sherlocks Erzfeind Jim Moriarty die Kronjuwelen stiehlt. Dazu ist die Ouvertüre von Rossinis La gazza ladra, zu Deutsch Die diebische Elster, zu hören. Zunächst ist nicht zu identifizieren, ob nur der Zuschauer die Musik hört oder auch Moriarty selbst. Trotz des Titels des Musikstückes ist das Bild-Ton-Verhältnis eher kontrapunktierend: Was man sieht, scheint nicht mit dem zusammenzupassen, was man hört. Das ruft ein Gefühl hervor, das genauso obskur ist wie Moriartys Persönlichkeit.

In House, M.D. sind es vor allem die diegetischen Geräusche, die den Rezipienten unmittelbar an der Szenerie teilhaben lassen. Die Zuschauer werden durch die Geräuschkulisse in eine Krankenhausumgebung versetzt, die die Bildebene realistisch erscheinen lässt und unterstützt. Außerdem wird, ähnlich wie in Sherlock, mit dem Effekt gespielt, dass man als Zuschauer in vielen Szenen zunächst annimmt, extradiegetischen Ton zu hören. Im Lauf der Szenen stellt sich jedoch heraus, dass es sich um Musik handelt, die Gregory House selbst hört, meist über den iPod, der sein ständiger Begleiter ist. Die Zuschauer können dadurch am emotionalen Zustand des Protagonisten teilhaben.

Musikalische Repräsentation des Charakters Sherlock Holmes in der BBC-Serie Sherlock

Der Hauptfigur der Serie Sherlock wird ein charakteristisches Thema gewidmet. Dieses erscheint in jeder Episode in verschiedenen Varianten und Situationen, aber immer in Verbindung mit der Hauptfigur. Das erste Mal ist es in der ersten Episode The Game Is On zu hören. Vorherrschend für dieses Thema ist der Hackbrett-Klang, der ihm etwas Quirliges und Lustiges verleiht. Trotzdem steht das Stück in Moll, was dem Ganzen eine düstere Note gibt. Dies repräsentiert Sherlocks zwei Seiten: seine lustige, einfältige Art, die oft in Verbindung mit Watson erscheint, und die Seite des hoch-funktionellen Soziopathen und Junkies. Der Komponist David Arnold sagte dazu:

»He was a high-functioning drug user, so there’s a bit of madness involved.«[2]

Im Lauf der Serie wird das Thema verschiedentlich abgewandelt, u. a. unterschiedlich instrumentiert, anders harmonisiert und in anderen Stilen verarbeitet.

Auch andere wichtige Figuren werden musikalisch repräsentiert. In Verbindung mit anderen Charakteren vermischen und kontrapunktieren sich die musikalischen Themen. Häufig erklingt Sherlocks Thema gemeinsam mit dem vom Klavier dominierten Thema Watsons (S01E01, A Study in Pink), wenn ein Dialog zwischen den beiden stattfindet. Welche Charaktere spezielle Themen bekommen, wurde den Komponisten zufolge gemäß der Wichtigkeit der Figuren entschieden. So erhielten zum Beispiel die Bösewichte Jim Moriarty und Charles Augustus Magnussen spezielle Themen, nicht jedoch Sherlocks und Watsons Haushälterin Mrs. Hudson.

Beim Auftritt von Sherlock Holmes wird das musikalische Geschehen oft von Streichern bestimmt, die in Verbindung mit ihm eine signifikante Rolle spielen. Die Themen der Geigen bilden verschiedene Charakterzüge ab: Sie sind weich, oft aber auch beunruhigend, melancholisch und episch. Dies unterstützt den Eindruck eines genialen Junkies. Durch die literarische Vorlage war die Geige mit der Figur Sherlock Holmes ebenso assoziiert wie seine Pfeife; Holmes wird von Arthur Conan Doyle als ein kultivierter und begnadeter Geigenspieler dargestellt.

Funktion des intradiegetischen Musizierens in den zwei Serien

Das Musizieren des Hauptcharakters hat verschiedene Funktionen. Während Sherlock Holmes (außer in der letzten Folge) immer nur alleine Geige spielt, musiziert Dr. House des Öfteren mit anderen zusammen. Trotzdem stellt es für beide einen Kommunikationsweg zwischen ihnen und anderen Menschen dar. Besonders Sherlock fällt es sonst eher schwer, mit anderen Menschen sozial zu interagieren (S04E03, The Final Problem). Das wird in der vorerst letzten Folge der Serie betont, in der die Musik den einzigen Kommunikationsweg zwischen ihm und seiner Schwester darstellt. In einem hochemotionalen Moment bittet sie ihn, nicht Bach, sondern ›sich selbst‹ zu spielen, worauf eine Komposition von ihm zu hören ist. – Für Dr. House ist das Musizieren vor allem ein Weg der Kommunikation mit Patienten, der ihm einen leichteren und tiefgreifenden Zugang zu ihnen bietet (S03E15, Half-Wit).

Das Musizieren gibt außerdem die Möglichkeit, Emotionen auszudrücken und zu verarbeiten. Dies geschieht bei Sherlock ebenfalls durch das Komponieren (S03E02, The Sign of Three). Besonders Emotionen wie Liebe und Zuneigung sind für ihn schwer zu verarbeiten. Die schwierigste emotionale Situation ist sein Zusammentreffen mit Irene Adler, die unbekannte Gefühle in ihm auslöst. Diese verarbeitet er auf komponierende Weise in Irene’s Theme (S02E01, A Scandal in Belgravia). Aber auch Freundschaft ist ein Gefühl, das Sherlock dadurch ausdrückt, dass er für Watson Geige spielt, um ihm eine Freude zu bereiten. Außerdem komponiert und spielt er dessen Hochzeitswalzer. Auch House musiziert für seinen Freund Wilson am Klavier, ferner spielt er Gitarre, Orgel und Harmonika. Der House-Darsteller Hugh Laurie nahm auf diesen Aspekt in einem Interview Bezug:

»Despite his cynical, sarcastic, crude demeanor character, music provides a sort of emotional language for House, one that he uses primarily but not exclusively in isolation.«[3]

Trotz seines zynischen Charakters stelle die Musik demnach eine emotionale Sprache für House dar, die er vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) dann verwende, wenn er alleine sei. Letztlich dient das Musizieren beiden der Entspannung, als Ausgleich zu den hohen kognitiven Aktivitäten sowie als Mittel der Inspiration: Wenn Dr. House gestresst ist, sieht man ihn oft in seinem Büro mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegen und Musik verschiedener Genres hören.

Das Hören von Musik hat in den Serien einen hohen Stellenwert und eine ähnliche Funktion wie das Musizieren selbst. Während Sherlock Holmes eher klassische Musik hört, ist ein hauptsächlich mit Popularmusik und Jazz gefüllter iPod der ständige Begleiter von Gregory House. Seine Musikwahl spiegelt dabei häufig seine Stimmung wieder. Ein Beispiel dafür ist die Folge Love Hurts (S01E20), in der House ein Date hat, das jedoch kein gutes Ende nimmt. Die darauffolgende Liedauswahl Some Devil von Dave Matthews zeigt seine Verletzlichkeit an.

* * *

Erwecken die unterschiedlichen Szenerien der Serien zunächst den Eindruck von Eigenständigkeit und Originalität, so bemerkt man bei genauerem Hinsehen die Gemeinsamkeiten beider Protagonisten nach den Vorlagen von Sir Arthur Conan Doyle. Das Musizieren von Sherlock Holmes ist für seinen Charakter konstitutiv. Dadurch ist es möglich, die Vielschichtigkeit der Person besser darstellen zu können. Dem Zuschauer wird eine Gefühlsebene eröffnet, die sonst kaum zugänglich wäre. Auch bei Gregory House wird diese Ebene eröffnet, die er für sich selbst, gerade aber auch für die Interaktion mit anderen Menschen benötigt. Diese Parallelen zeichnen Gregory House auf musikalischer Ebene also als eine ›Sherlock-Holmes-Variation‹ aus.

 

Nachweise

[1] Gerard Gilbert, Settling the score, 2012.

[2] Garrett Tiedemann, David Arnold and Michael Price talk about composing for »Sherlock«, 2014.

[3] Zitiert nach Barbara Barnett, The Music of House, MD, 2008.

 

Quellen und Literatur

Barnett, Barbara: The Music of House, MD. My personal soundtrack, in: Chasing Zebras. The Unofficial Guide to House, M.D., 9. Juli 2008, <https://barbarabarnettbc.wordpress.com/2008/07/09/the-music-of-house-md-my-personal-soundtrack> (Abruf am 9. Februar 2018).

Gilbert, Gerard: Settling the score: Meet the musical brains behind TV’s top dramas, in: The Independent, 15. Dezember 2012, <www.independent.co.uk/arts-entertainment/music/features/settling-the-score-meet-the-musical-brains-behind-tvs-top-dramas-8411959.html> (Abruf am 11. Februar 2018).

Mumford, Gwilym: Sherlock returns to the BBC: ›He’s definitely devilish‹, in: The Guardian, 17. Dezember 2011, <www.theguardian.com/tv-and-radio/2011/dec/17/sherlock-bbc-cumberbatch-freeman-interview> (Abruf am 9. Februar 2018).

Plunkett, John: Bond and Sherlock composer David Arnold: ›He doesn’t follow the herd‹, in: dass., 4. August 2013, <www.theguardian.com/media/2013/aug/04/james-bond-sherlock-composer-david-arnold> (Abruf am 9. Februar 2018).

Tiedemann, Garrett: David Arnold and Michael Price talk about composing for »Sherlock«, in: classicalMPR, 17. März 2014, <www.classicalmpr.org/story/2014/03/17/sherlock-bbc-composers-interview> (Abruf am 11. Februar 2018).


1 Kommentar

  1. […] as suggesting multiple layers of interpretation for the music, while comparing the music of the American series House, M.D. and the BBC show Sherlock insinuates a common origin in the work of Sir Arthur Conan Doyle. The presentations on Mad […]

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Moritz Kelber

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