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TV-Musik: »Breaking Bad«

Richard Knaupp und Marlene Schleicher

Soundscapes in Breaking Bad

Breaking Bad, die Geschichte um den ehemaligen Chemielehrer Walter White in New Mexico, der nach einer Krebserkrankung immer weiter in die Welt der Drogendealer gerät, wurde erstmals von 2008 bis 2013 ausgestrahlt. Es ist auffällig, dass die Serie mit sehr wenig, dafür gezielt eingesetzter Musik auskommt: Der absolute Musikanteil liegt bei gerade einmal 15 %, während er in den meisten Serien um ein Vielfaches höher ist.[1] Da sich die Erzählweise von Breaking Bad hingegen nicht maßgeblich von anderen Serien unterscheidet, muss es weitere Elemente geben, die neben Bild und Dialog zur Narration beitragen: In Breaking Bad spielt die Geräuschebene eine besondere Rolle. Diese Soundscape umfasst die Menge aller Geräusche, die die fiktive Welt formen.[2] Soundscapes lassen sich in weitere Kategorien unterteilen, die auch in der hier besprochenen Serie relevant sind:

  • Keynotesounds umfassen die Hintergrundgeräusche der dargestellten Welt: Wind, Wasser, Wald, Tiere etc.,
  • Signals hingegen sind all jene Geräusche, die sich in den Vordergrund drängen, etwa Sirenen, Martinshörner und Glocken.

Da die Geräuschebene in Breaking Bad teilweise an Stelle von Serienmusik eingesetzt wird, ist zu erwarten, dass den Soundscapes eine ähnliche Funktion beikommt. Norbert Jürgen (»Enjott«) Schneider spricht von Filmmusik, in unserem Fall Serienmusik, wenn sie »bewusst und aus dramaturgischen Gründen zu den Bildern des Films gesetzt wird« und interpretierbar ist.[3] So lässt sich vermuten, dass die Soundscapes in Breaking Bad nicht nur der akustischen Formung der Umgebung dienen, sondern einen hohen interpretatorischen Gehalt haben. Unsere Analyse greift sieben Szenen heraus, in denen Soundscapes eine wichtige Funktion einnehmen.

I. Fernsehton als Symbol der Verwahrlosung: Peekaboo (S02E06)

Walters Komplize Jesse Pinkman geht in das Haus zweier rivalisierender Kleindealer, um sie einzuschüchtern, trifft sie aber nicht an. Das Haus ist unaufgeräumt und heruntergekommen. Während er auf die Dealer wartet, betritt ein kleines Kind das Wohnzimmer. Der Junge ist ungewaschen und trägt schmutzige Kleidung. Er reagiert nicht auf Jesses Anwesenheit, sondern schaltet den Fernseher an. Wie gebannt starrt das Kind auf den Bildschirm. Auf die Versuche, ihn anzusprechen, reagiert es nicht. Die einzige Antwort, die Jesse bekommt, ist der Fernsehton: Er tritt an die Stelle einer sozialen Interaktion, die die normale Reaktion auf einen Fremden im Wohnzimmer wäre.

Der Fernseher, insbesondere der Fernsehton, unterstreicht auf der akustischen Ebene die emotionale und soziale Verwahrlosung des Kindes; er tritt an die Stelle eines Spielgefährten. Als Zeichen der Verwahrlosung spiegelt er nicht nur den inneren Zustand des Kindes, sondern charakterisiert auch die Umgebung. Als nach der nächsten Szene, die an einem anderen Ort spielt, wieder zu Jesse und dem Jungen zurückgeschnitten wird, hört man zuerst den Fernseher. Er bleibt auch im Rest der Szene präsent, obwohl sich die Figuren in einem anderen Raum des Hauses befinden.

II. Herzmonitor macht Emotionen hörbar: I See You (S03E08)

Walter White besucht im Krankenhaus seinen Schwager, den Drogenermittler Hank Schrader, der vom Attentäter eines mexikanischen Drogenkartells angegriffen wurde. Dieses Attentat hatte sich als Racheakt eigentlich gegen Walter gerichtet. Der Attentäter liegt im gleichen Krankenhaus. Zusammen mit DEA-Polizisten besucht Walter das Krankenzimmer des Attentäters. Sie erhoffen sich Genugtuung davon, zu sehen, dass Hank ihm schwere Verletzungen zugefügt hat. Als sie den Raum betreten, hört man das regelmäßige Piepen des Herzmonitors stark im Vordergrund; alle anderen Geräusche werden ausgeblendet. Sobald der Verletzte Walter erkennt, geht sein Puls in die Höhe, was man am schnelleren Piepen des Monitors hört. Der Attentäter möchte zu Walter und reißt sich die Elektroden ab. Zum schrillen Piepen mischen sich weitere Alarmsignale, die einen fließenden Übergang in die elektronische Filmmusik bilden, die nun eingeblendet wird und die Geräusche in eine Klangkomposition einbettet.

Die Präsenz des Herzmonitors verlangt nach Interpretation. Die Tatsache, dass alle anderen krankenhaustypischen Geräusche aus den Szenen davor ausgeblendet werden, zeigt, dass es bei dem Piepen um mehr geht als um die Charakterisierung der Umgebung: Durch den Monitor wird die emotionale Verfassung des Attentäters hörbar gemacht. Mit seiner ansteigenden Wut wird das Geräusch immer dichter. Der fließende Übergang zur Filmmusik verdeutlicht zudem, wie eng verwandt der Einsatz der Geräusche zur traditionellen Filmmusik ist.

III. Das Quietschen einer Schaukel als Symbol für Verbundenheit: Say My Name (S05E07)

Walters Komplize Mike Ehrmantraut ist mit seiner Enkelin auf einem Spielplatz. Er sitzt auf einer Bank, während sie mit dem Rücken zu ihm schaukelt. Die Ketten der Schaukel quietschen, außerdem hört man spielplatztypischen Kinderlärm. Mike bekommt einen Anruf, dass die Polizei auf dem Weg zu ihm sei, und muss fliehen. Da schon das erste Polizeiauto kommt, hat er keine Zeit mehr, seine Enkelin mitzunehmen. Während Mike mit sich hadert, wird das Quietschen der Schaukel immer lauter, obwohl sich Mike nicht näher an die Schallquelle heranbewegt; dafür gerät der Rest der akustischen Umgebung in den Hintergrund. Das Geräusch wird durch diesen akustischen Fokus also mit Bedeutung belegt. Man kann es als Zeichen der Verbundenheit Mikes zu seiner Enkelin oder als akustisches Symbol für die Vorwürfe deuten, die Mike sich wahrscheinlich macht, weil er sie zurücklassen muss. In jedem Fall kann der Zuschauer durch die akustische Ebene Rückschlüsse darauf ziehen, was in Mikes Gefühlswelt vor sich geht.

IV. Ein Gasofen zeichnet den Spannungsbogen nach: …And the Bag’s in the River (S01E03)

Nach ihrem ersten missglückten Drogendeal haben Jesse und Walter ihren ehemaligen Geschäftspartner im Keller eingesperrt. Walter hadert mit sich, ob er ihn töten muss oder laufen lassen kann. Als er sich schon entschlossen hat, den Gefangenen freizulassen, bemerkt er, dass dieser eine Scherbe gestohlen hat, vermutlich, um Walter zu töten. Walter erkennt, dass er ihn also doch töten muss, wenn er selbst überleben will. Während er in den Keller hinabsteigt, hört man im Hintergrund das Brodeln eines Gasofens. Während Walter Kraft für die bevorstehende Tat sammelt, rückt das Brodeln immer mehr in den Vordergrund und wird zusätzlich dichter. Bei der Ausführung der Tat hört es dann plötzlich auf.

Das Geräusch wird also verfremdet und lässt sich nicht mehr als bloße Charakterisierung der Umgebung deuten: Das Geräusch des Ofens zeichnet Walters innere Anspannung nach und gibt Hinweise auf sein Innenleben. Auch der »musikalische« Umgang mit einem Geräusch, das ursprünglich der Umgebung entstammt, ähnelt dem oben geschilderten Fall mit der Schaukel: Lautstärke und Dichte der Klangkulisse durch den Ofen werden in der Welt der Figuren subjektiv verändert. Analog zur Anspannung Walters zeichnet der Ofen aber auch den Spannungsbogen des Zuschauers nach.

V. Spannungsaufbau für Protagonisten und Rezipienten auf Grund eines Schreckmoments: Breakage (S02E05)

Hank Schrader liegt nachts schlaflos im Bett. Als er ein Schussgeräusch zu hören glaubt, schreckt er auf und greift zur Waffe, um sich dem vermeintlichen Gegner entgegenzustellen. Auf der Suche nach dem Ursprung des Geräuschs wiederholt sich das Knallen immer mehr. Erst dann wird die Situation aufgelöst: Hank hat in einer vorangegangenen Szene Bier gebraut. Da der Druck in den Flaschen zu hoch ist, platzen sie und verursachen einen Knall, der den Protagonisten zunächst an einen Schuss denken lässt. Diese Assoziation ergibt sich ebenso für den Rezipienten: Durch die Kameraführung nimmt der Zuschauer auch im Bild die Perspektive des Protagonisten ein; der bedrohliche Eindruck wird durch die Dunkelheit zusätzlich verstärkt. Die optische Reduktion und die Abwesenheit von Filmmusik legen den Fokus auf den sich wiederholenden Knall und erzeugen Spannung. Mit der Einblendung der Geräuschquelle wird diese Spannung für den Protagonisten ebenso wie für den Rezipienten gelöst.

VI. Spannungsaufbau für den Zuschauer auf Grund eines akustischen Fremdkörpers: Grilled (S02E02)

Im Bild sieht man eine Wüste aus der Vogelperspektive, während aus der Ferne ein rhythmisches Geräusch zu hören ist, das zunächst nicht zugeordnet werden kann. Die Kameraführung verlässt die Totale und es werden immer mehr Details sichtbar, die alle nicht in die Umgebung einer Wüste passen: Munition, altes Spielzeug, leere Flaschen. Gleichzeitig wird das Geräusch immer lauter. Mittlerweile ist vernehmbar, dass es sich nicht um ein Geräusch aus der Natur handelt, sondern dass die Geräuschquelle maschinell ist.

Der »akustische Fremdkörper« verursacht in Verbindung mit den Nahaufnahmen und dem Fehlen von Filmmusik eine Desorientierung in einem Umfeld, das zunächst klar definiert worden war. Die Spannung durch die Orientierungslosigkeit wird langsam abgebaut, indem die Geräuschquelle, ein Auto, zunächst als Schatten sichtbar wird, dann im Detail, schließlich in der Totalen: Das Geräusch wird vom Hydrauliksystem eines verlassenen Wagens produziert, der das Auto springen lässt und so das rhythmische Quietschen erzeugt. Die durch die Soundscape verursachte Verunsicherung gilt diesmal nur den Zuschauern, da in der Szene keine handlungstragenden Figuren anwesend ist.

VII. Grillenzirpen: …And the Bag’s in the River (S01E03)

Breaking Bad spielt in New Mexico. Akustisch wird diese Umgebung u. a. durch die nachts laut hörbaren Insektengeräusche charakterisiert. So ist in jeder Folge Grillenzirpen zu hören. Oft hat das keinen interpretatorischen Gehalt, der über die geographische Verortung hinausgeht, doch an manchen Stellen kann man in das Zirpen der Grillen durchaus Bedeutung legen. So verbringt Walter in der dritten Folge der ersten Staffel eine Nacht im Haus seines Komplizen Jesse und grübelt darüber, ob er einen eingesperrten Widersacher töten soll oder nicht (siehe Beispiel IV). Walter ist mit dieser Entscheidung auf sich gestellt. Das Grillenzirpen im Hintergrund macht für den Zuschauer die Abwesenheit anderer Menschen deutlich: Es tritt an die Stelle von Geräuschen, die von Menschen erzeugt werden. Diese Deutung wird dadurch gestützt, dass das Zirpen ausgeblendet wird, sobald Walter seine Frau anruft, um sich zu entschuldigen, dass er noch nicht zu Hause ist. Außerdem könnte man das Geräusch auch als Referenz auf das Doppelleben verstehen, das er führt: Grillen sind nachtaktive Tiere, und Walter baut sich, vor seiner Familie verborgen, eine Identität als Drogendealer auf.

Im Unterschied zu einigen anderen hier als Beispiel herangezogenen Soundscapes ist das Zirpen nicht verfremdet. Auf einer Skala von nicht interpretierbaren Umgebungsgeräuschen auf der einen Seite und der stark interpretierbaren akustischen Information der Filmmusik auf der anderen liegt das Grillenzirpen deutlich weiter weg von Filmmusik als die anderen hier untersuchten Fälle.

* * *

Die in den exemplarischen Szenen aus Breaking Bad geschilderten Soundscapes dienen also jeweils der Interpretation der Handlung, wurden dramaturgisch bewusst integriert und gehen in der Funktion über die akustische Formung der Umgebung deutlich hinaus.

 

 

Nachweise

[1] Peter Moormann, Im Takt des Todes, S. 57.

[2] Sonospace, Soundscape Theory, 2012.

[3] Norbert Jürgen Schneider, Handbuch Filmmusik, S. 19–21.

 

Literatur

Moormann, Peter: Im Takt des Todes. Musik und Sounddesign in Breaking Bad, in: Ambivalenzwucherungen. Breaking Bad aus bildungs-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Blickwinkeln, hrsg. von Olaf Sanders, Anja Besand und Mark Arenhövel, Köln: Halem 2016, S. 57–70.

Schneider, Norbert Jürgen: Handbuch Filmmusik I, München: Ölschläger 1989.

Sonospace: Soundscape Theory, <www.sonospace.org/soundscape> (Abruf am 15. Februar 2018).


1 Kommentar

  1. […] opening, to the ability of leitmotifs to anticipate plot developments in Game of Thrones and the soundscapes of Breaking Bad as crucial contributions to the show’s narrative, the students took special efforts to point out […]

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Moritz Kelber

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