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Johanna Steinborn: „Christoph Schaffrath und die Triosonate“

Johanna Steinborn (Bamberg / Leipzig)

Christoph Schaffrath und die Triosonate:

Ästhetik, Kompositionstechnik und Rezeption

Leben und Werk des preußischen Komponisten Christoph Schaffrath stellen trotz der in den letzten Jahren erfolgten Wissenszuwächse noch immer eine Forschungslücke dar (vgl. Hartmut Grosch, Christoph Schaffrath – Cembalist, Komponist, Lehrmeister, in: Die Rheinsberger Hofkapelle von Friedrich II., Musiker auf dem Weg zum Berliner „Capell-Bedienten“, hrsg. von Ulrike Liedtke, Rheinsberg 2005, sowie Reinhard Oestreichs Vorwort zu seinem Verzeichnis der Werke Christoph Schaffraths, Beeskow 2012, S. 7–16). Wenig ist über die Biographie des langjährigen musikalischen Untergebenen Friedrichs II. bekannt, und weite Teile seines handschriftlich überlieferten Œuvres harren noch der Erschließung. Der vorliegende Beitrag soll ein neues Detail zur Schaffrath-Forschung ergänzen und an einem Beispiel nach dem Verhältnis von Kompositionstechnik und Gattungsästhetik zur Mitte des 18. Jahrhunderts fragen. Die erst seit kurzem edierte Triosonate g-Moll für Oboe, Violine und Basso continuo CSW:E:18 macht exemplarisch deutlich, wie Schaffrath seine Musik in der Relation zu zeitgenössischen, streng kontrapunktischen Kompositionsprinzipien verortete (die Edition, hrsg. von Bernhard Päuler, ist bei Aurea Amadeus unter der Nummer 265 erschienen). Dies kann zwei miteinander verbundene Fragen klären. Erstens erhellt es, wie eng Theorie und Praxis in der Berliner Musikkultur des 18. Jahrhunderts miteinander verbunden waren, die in der öffentlichen Wahrnehmung bekanntlich nicht zuletzt aus der Überblendung dieser Bereiche definiert war. Zweitens lassen sich an diesem Beispiel Gründe dafür aufzeigen, weshalb Schaffrath, zu seiner Zeit immerhin einer der namhaftetesten Musiker Berlins, im späteren Musikleben so weitgehend vergessen wurde.

Schaffraths kompositorisches Schaffen umfasste ausschließlich Instrumentalwerke. Sie reichen in der Besetzung von Solosonaten bis zum Konzert. Die Trios bildeten darunter wahrscheinlich den größten Teil der einstmals schriftlich fixierten Kompositionen. Heute sind jedoch nur noch sieben Sonaten für verschiedene Holzbläser- und Streichinstrumentenensembles erhalten. Selbst unter diesen sieben Sonaten kann Schaffraths Autorenschaft nicht immer zweifelsfrei angenommen werden. Oestreich vermutet aufgrund zeitgenössischer Werkverzeichnisse die Existenz von ehemals 60 bis 80 Trios (Verzeichnis der Werke Christoph Schaffraths, siehe oben, S. 23). Dass sich die Triosonate in ihrer Besetzung mit zwei Oberstimmen und Basso continuo in Berlin großer Beliebtheit erfreute, zeigen neben Schaffraths Werken auch die fast aller seiner Berliner Kollegen: In so gut wie jedem Werkverzeichnis von Komponisten aus diesem kulturellen Kontext finden sich Trios, wenn auch meist in geringerer Anzahl als bei Schaffrath vermutet (beispielsweise bei Johann Gottlieb Graun, Carl Heinrich Graun oder Johann Joachim Quantz).

Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist Schaffraths Trio CSW:E:18, D-B AmB 495/II. Grundsätzlich sind einige Autographen und Abschriften von Schaffrath seit 2006 datiert, so auch eine Abschrift dieser Komposition in der Sammlung Thulemeier (Tobias Schwinger, Die Musikaliensammlung Thulemeier und die Berliner Musiküberlieferung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (ortus studien 3), Beeskow 2012). Demnach wäre das Trio vermutlich in den 1750er Jahren (zwischen „vor 1751“ und ca. 1760) entstanden. Zu dieser Zeit war Schaffrath bereits von seiner Position als Hofcembalist Friedrichs II. an den Hof der Prinzessin Anna Amalia gewechselt. Wie ihr Bruder war auch sie eine begeisterte Musikerin. Als Dienstherrin mehrerer Musiker nahm sie auf die Geschmacksbildung Einfluss und förderte eine Schreibart, die – vor allem außerhalb Berlins – zu dieser Zeit eigentlich schon anachronistisch erschien (ebd., S. 3). Sicherlich wurde sie darin von ihrem Lehrer Johann Philipp Kirnberger und seinem Beharren auf der streng kontrapunktischen Satzlehre bestärkt (ebd., S. 86f.). Nach diesem tradierten Regelwerk stellten die Vorherrschaft des Basses über der Melodie und die Regelgerechtigkeit des Satzes die Weichen zur Vollkommenheit eines Stückes. Dass zur gleichen Zeit anderswo schon andere Modelle diskutiert wurden, nahm Kirnberger durchaus wahr, verstand dies jedoch als den Gegensatz zweier Schreibarten:

„Jene strenge Schreibart wird vornämlich in der Kirchenmusik […] gebraucht; diese [die „freye oder leichtere Schreibart“] aber ist vornehmlich der Schaubühne und den Concerten eigen, wo man mehr die Ergötzung des Gehörs, als die Erweckung ernsthafter oder feyerlicher Empfindungen zur Absicht hat. Sie wird deswegen insgemein die galante Schreibart genennt, und man gestattet ihr verschiedene zierliche Ausschweiffungen, und mancherley Abweichung von den Regeln.“ (Johann Philipp Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, Berlin 1771–1779, hrsg. von Gregor Herzfeld, Kassel 2004, S. 80.)

Zu Schaffraths Stellung im Berliner Musikleben

Grundsätzlich gliedert Schaffraths Œuvre sich fast nahtlos in das Raster seines Berliner Umfelds ein. Obwohl über seine Ausbildung fast nichts bekannt ist, lässt auch die vorliegende Triosonate im Speziellen seine Verpflichtung zur kontrapunktischen Tradition erkennen. Es sei dahingestellt, ob man Gerhard Poppes These folgen möchte, Schaffrath sei Schüler Jan Dismas Zelenkas gewesen (Gerhard Poppe, Die Schüler des Jan Dismas Zelenka, in: Musikkonzepte – Konzepte der Musikwissenschaft. Bericht über den Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Halle (Saale) 1998, hrsg. von Kathrin Eberl und Wolfgang Ruf, Kassel 2000, Bd. 2, S. 292f.) und stünde damit direkt in der Tradition der traditionellen Kontrapunktlehre nach Johann Joseph Fux – auf jeden Fall reflektiert sein Werk diese Art der gediegenen Ausbildung, auch wenn er sich neueren Stilelementen und ungewöhnlichen melodischen Wendungen nicht grundsätzlich verschloss.

Vor allem als Mitglied des Ruppiner und später Rheinsberger Hofmusikensembles des Kronprinzen Friedrich II. hatte Schaffrath an aktuellen musikalischen Experimenten teil. Neue Besetzungsvarianten wurden ebenso erprobt wie die moderne Spielart des Solokonzerts (in seinem Fall: des Cembalokonzerts) und rezente Stilmittel (Hartmut Grosch, Christoph Schaffrath. Komponist – Cembalist – Lehrmeister, in: Die Rheinsberger Hofkapelle von Friedrich II. Musiker auf dem Weg zum Capell-Bedienten, hrsg. Ulrike Liedtke, Rheinsberg 2005, S. 217). Dabei war diese Musikpraxis alles andere als regional engstirnig. Viele Musiker dieser beiden Vorläufer der späteren königlich-preußischen Hofkapelle waren weit gereist und reisten auch zur Zeit ihrer Tätigkeit für Friedrich II. noch. Zudem ließ Friedrich sich Musik aus dem Ausland schicken (Sabine Henze-Döhring, Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München 2012, S. 30), informierte sich also durchaus über die musikalischen Entwicklungen außerhalb Preußens, und ließ im begrenzten Rahmen einen Austausch mit anderen regionalen Musiksprachen zu.

Schaffrath war auf musikpraktischem und -theoretischem Gebiet vielfältig aktiv. Zeitgenössische Dokumente nennen ihn als engagierten, gründlichen Lehrer. Ausdruck dafür ist noch der ihm gewidmete Artikel in Gerbers Tonkünstlerlexikon:

„Schafrath […] ist einer unserer würdigsten Contrapunktisten gewesen. Mehrere der merkwürdigsten Komponisten, Virtuosen und Sänger, welche in diesem Buch vorkommen, waren seine Schüler. Überdies hat er auch verschiedene schöne und so gründliche Kompositionen, als man sie von einem Schafrath erwarten konnte, hinterlassen.“ (GerberATL, Bd. 2, S. 404.)

Das Zitat zeigt deutlich: Als Lehrer genoss Schaffrath noch zu Gerbers Zeit einen hervorragenden Ruf. Neben einer erheblichen Anzahl an heute unbekannteren Musikern hatte er auch einige Berühmtheiten seiner Zeit unterrichtet. Seinen Kompositionen wird in der Generation nach ihm dagegen schon weniger enthusiastische als vielmehr pflichtbewusste Anerkennung gezollt; sie galten lediglich als „gründlich“ und korrekt, mehr lehrreich intendiert denn inspirierend.

Zusätzlich zu dieser kompositorischen und pädagogischen Arbeit war Schaffrath sein ganzes Leben lang als Cembalist tätig. Im Einklang mit Berliner Idealen widmete er sich wenigstens sporadisch auch der musiktheoretischen Schriftstellerei; überliefert ist das Manuskript einer unvollendeten Kompositionslehre (Theorie und Praxis der Musik, D-B AMB 605/6). Schaffraths in der Summe herausgehobene Position und übergeordnete Funktion im Kreise der Hofmusiker belegt vor allem seine Lehrtätigkeit; auf König Friedrichs Wunsch unterrichtete er einige andere Kapellmitglieder ebenso wie manche Sänger. Durch seine frühere Tätigkeit in der Kapelle Augusts des Starken war er ebenso bewandert in italienischer Gesangsdiminution. (Der damals sehr berühmte Kastraten-Sopran Felice Samnini erhielt bei Schaffrath Unterricht. Hiller äußert sich darüber folgendermaßen: „Samnini war es gelungen, auf seine wohlbekannte, bewegende Weise, das Adagio mit schönen und wohlüberlegten Verzierungen zu singen. Dabei kam ihm zugute, daß er sich bestens in den Grundharmonien auskannte und daß er bei Schaffrath studiert hatte“ (zitiert nach Grosch, Christoph Schaffrath, in: Die Rheinsberger Hofkapelle, siehe oben, S. 222).) Schaffrath war also kein einfaches Capell-Mitglied, sondern ein Mentor und umfassend informierter musikalischer Ausbilder für viele der Musiker. Da Friedrich II. selbst diesen Unterricht anwies, kann dessen Bedeutung gar nicht hoch genug geschätzt werden. Der Monarch selbst erkannte Schaffrath demnach in der Musik als einen Kollegen an, der es würdig war, ihn in dieser pädagogischen Mission zu vertreten.

1741 wechselte Schaffrath von der Position als erster Cembalist der königlichen Hofkapelle an den Hof der Prinzessin Anna Amalia. Seine dortige Tätigkeit als Kammermusiker scheint eher nebenberuflicher Natur gewesen zu sein, da sich bislang keine Gehaltsnachweise finden ließen (Christoph Henzel, Agricola und andere, in: Jahrbuch des staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, hrsg. von Günther Wagner, Stuttgart 2003, S. 56). Der Brotberuf hingegen war wohl seine Lehrtätigkeit. Anna Amalia allerdings erhielt keinen Unterricht von ihm; sie hatte Kirnberger als Lehrer gewählt. Mit ihm teilte Schaffrath sich auch die Aufgabe, sich um die Bibliothek seiner Dienstherrin zu kümmern, in die nach seinem Tod auch seine eigene Musikaliensammlung eingegliedert wurde (Renate Blechschmidt, Die Amalien-Bibliothek, Berlin 1965, S. 25).

Schaffraths Trio g-Moll vor dem Hintergrund der Gattungsästhetik

Zeitzeugnisse belegen zur Genüge, dass Schaffrath als Komponist zu seinen Lebzeiten – anders als in der posthumen Rezeption – nicht nur bekannt, sondern auch geschätzt war (Grosch, Christoph Schaffrath, in: Die Rheinsberger Hofkapelle, siehe oben, S. 217). Nur ein Beispiel unter vielen ist der ihm geltende Artikel bei Ledebur, der den „Kammermusikus der Prinzessin Amalie v. Pr. zu Berlin, Geb. 1709 zu Hohenstein bei Dresden“, als „tüchtige[n] Contrapunktist[en] und […] beliebte[n] Lehrer“ ausweist (Tonkünstler-Lexicon Berlins, von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, hrsg. von Karl Freiherr von Ledebur, Berlin 1861, S. 498). Trotzdem scheint eine Vorbildwirkung nicht so sehr wahrgenommen worden zu sein wie zum Beispiel bei Carl Heinrich Graun, dessen Kompositionen oft und mit großem Aufwand aufgeführt wurden – hervorgehoben sei vor allem sein Passionsoratorium Der Tod Jesu (Christoph Henzel, Das Konzertleben der preußischen Hauptstadt 1740–1786 im Spiegel der Berliner Presse (Teil I), in: Jahrbuch des staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, hrsg. von Günther Wagner, Mainz 2004, S. 216–291). In der Berichterstattung der Berliner Presse existiert aus den Jahren 1740 bis 1768 dagegen kein einziger Nachweis, in dem Schaffrath als Komponist eines aufgeführten Stückes namentlich erwähnt würde (ebd.). Ein Grund dafür könnte sein, dass bis heute innerhalb seines Œuvres keine Vokalkompositionen bekannt sind, denen durch eine Aufführung in Kirche oder Oper ein größeres Publikum vergönnt gewesen wäre. Sein instrumentalkompositorisches Schaffen betraf im wahrsten Sinne des Wortes „Kammermusik“ für einen intimen Rahmen und sperrte sich der öffentlichen und in der Folge medialen Wirksamkeit.

Das Trio in g-Moll soll nun in diesen hier nur in Umrissen skizzierten Rahmen eingebettet werden. Zu diesem Zweck wird eingangs eine Gattungsästhetik der Triosonate auf der Grundlage der Schriften von Johann Georg Sulzer, Johann Joachim Quantz und Heinrich Christoph Koch rekapituliert, also zweier Berliner und eines mitteldeutschen Musikschriftstellers der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

In Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste aus dem Jahr 1771 stehen einige bemerkenswerte Sätze über die Kammermusik und ihren sowohl kompositionsgeschichtlichen als auch sozialen Ort. Sie werde demnach eher für Kenner zur Übung ihrer Fähigkeiten und Liebhaber mit geschulten Ohren als für Laien gemacht, und ihr Stil müsse sich folglich durch Reinheit des Satzes, durch Feinheit im Ausdruck und durch kunstvollere Wendungen auszeichnen als die Musik in der Kirche oder der Oper (Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, Leipzig 1771, S. 189). Gewissermaßen als Königsdisziplin der Komposition ist bei Sulzer in diesem Zusammenhang sodann die Triosonate angeführt. Gute Kammertriokompositionen werden (im Gegensatz zum formal und musikalisch strengeren Kirchentrio) als „leidenschaftliches Gespräch unter gleichen, oder gegeneinander abstechenden Charakteren in Tönen“ charakterisiert. Die größere formale Freiheit sollte der Komponist nutzen, um Abwechslung zu schaffen: Lockere Imitationen, überraschende Einsätze, aber auch korrekt angebrachte Kadenzen und muntere Zwischensätze sollten in ihrer Gesamtheit zu einem individuellen Charakterbild jedes einzelnen Triosatzes trotz der uniformen Gattungsästhetik beitragen. Höchste Erwartungen stellt Sulzer an den Komponisten: „Daher erfodert das Kammertrio eine Geschiklichkeit des Tonsezers, die Kunst hinter dem Ausdruk zu verbergen“ (ebd.).

In Quantz’ Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen gelten die ersten Paragraphen des XVIII. Hauptstücks (Wie ein Musikus und eine Musik zu beurtheilen sey) der Klage, dass die wenigsten Menschen in der Lage seien, Musik angemessen zu beurteilen:

„Nicht nur ein jeder Musikus, sondern auch ein jeder, der sich für einen Liebhaber derselben [der Musik] ausgiebt, will zugleich für einen Richter dessen, was er höret, angesehen werden“ (Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen, Berlin 1752, Faksimile-Reprint, Kassel 2004, S. 275).

Im weiteren Verlauf folgen regelrechte Kataloge von Qualitätskriterien, die die unterschiedlichen Musikgattungen zu erfüllen hätten, um Quantz’ Ansprüchen zu genügen. § 44 behandelt den „Quatuor“ mit drei solistisch agierenden Instrumenten und einer Generalbassstimme. Quantz bezeichnet ihn respektvoll als den „Probierstein eines echten Contrapunctisten“ und verweist auf Telemanns Pariser Quartette als Musterbeispiele der Gattung (ebd., S. 302).

§ 45, in dem Quantz nach dem Quatuor nun seine darauf aufbauenden Qualitätskriterien für das Trio niederlegt, sei im Folgenden vollständig wiedergegeben (ebd., S. 302f.). Dabei soll zugleich versucht werden, diesen spezifisch Berliner Kriterienkatalog des Trios mit Schaffraths kompositorischem Beitrag zur Gattung zu vergleichen und übereinstimmende Momente aufzudecken.

„Ein Trio erfordert zwar nicht eine so mühsame Arbeit, als ein Quatuor; doch aber von Seiten des Komponisten fast dieselbe Wissenschaft; wenn es anders von der rechten Art seyn soll. Doch hat es dieses voraus, daß man darinne galantere und gefälligere Gedanken anbringen kann, als im Quatuor: weil eine concertirende Stimme weniger ist. Es muß also in einem Trio 1) ein solcher Gesang erfunden werden, der eine singende Nebenstimme leidet. [Selbst für das eher sperrige Anfangsthema des Adagios findet Schaffrath eine melodiöse Gegenstimme (zweiter Satz (Adagio), T. 8–14; siehe Notenbeispiel.] 2) Der Vortrag beym Anfange eines jeden Satzes, besonders aber im Adagio, darf nicht zu lang seyn: weil solches bey der Wiederholung, so die zweyte Stimme machet, es sey in der Quinte, oder in der Quarte, oder im Einklange, leichtlich einen Ueberdruß erwecken könnte. [Der solistische Beginn des Adagios erstreckt sich lediglich über 7 Takte.] 3) Keine Stimme darf etwas vormachen, welches die andere nicht nachmachen könnte. [Das trifft zu – der Tonumfang der Oboe wird nur an wenigen Stellen von der Violine unter- oder überschritten (z. B. im ersten Satz (Allegro), T. 149). Schaffrath fordert keine instrumentenspezifischen Spieltechniken wie zum Beispiel Doppelgriffe.] 4) Die Imitationen müssen kurz gefasset, [Die Imitationen beschränken sich, außer zu Beginn der Sätze, auf kleine Motive von höchstens einem Takt Länge (zum Beispiel: erster Satz (Allegro), T. 29–32; siehe Notenbeispiel.] und die Passagien brillant seyn. [Die schnellen Läufe sind melodiös und ohne große Sprünge (zum Beispiel erster Satz (Allegro), T. 109–113; siehe Notenbeispiel).] 5) In Wiederholung der gefälligsten Gedanken muß eine gute Ordnung beobachtet werden. [Dafür sprechen zum Beispiel die Anfänge der zweiten Teile der Ecksätze, die jeweils das Anfangsthema in anderer Tonart wiederholen (erster Satz (Allegro), T. 82–96 bzw. dritter Satz (Presto), T. 70–84); siehe Notenbeispiel.] 6) Beyde Hauptstimmen müssen so gesetzet seyn, daß eine natürliche und wohlklingende Grundstimme darunter statt finden könne. [Die Bassstimme schreitet melodiös fort und enthält auch kleinere motivische Bestandteile (zum Beispiel erster Satz (Allegro), T. 43/3–48/1; siehe Notenbeispiel).] 7) Soferne eine Fuge darinne angebracht wird, muß selbige, eben wie beym Quatuor, nicht nur nach den Regeln der Setzkunst richtig, sondern auch schmackhaft, in allen Stimmen ausgeführet werden. Die Zwischensätze, sie mögen aus Passagien oder anderen Rahmungen bestehen, müssen gefällig und brillant seyn. [Dies trifft auf diese Sonate allerdings nicht zu, da sie keine strenge Fuge enthält.] 8) Obwohl die Terzen- und Sextengänge in den beyden Hauptstimmen eine Zierde des Trio sind; so müssen doch dieselben nicht zum Missbrauche gemachet, noch bis zum Ekel durchgepeitschet, sondern vielmehr immer durch Passagien oder andere Nachahmungen unterbrochen werden. [In den Ecksätzen kommen kaum ausgedehnte Terz- oder Sextgänge vor. Im Mittelsatz ist dies zum Beispiel in den Takten 31 bis 38 der Fall; siehe Notenbeispiel.] Das Trio muß endlich 9) so beschaffen seyn, daß man kaum errathen könne, welche Stimme von beyden die erste sey. [Beide Oberstimmen haben ungefähr den gleichen Spielanteil und Ambitus und spielen dieselben Motive (siehe auch Anm. 20).]“

Hiermit wird in der ästhetischen Theorie ein genaues Berliner Anforderungsprofil an das instrumentale Kammertrio definiert. Der Abgleich mit Schaffraths Komposition deckt ein Ausmaß der genauen Übereinstimmung auf, das über bloße Zufälligkeiten sicherlich weit hinaus geht. Es ist selbstverständlich heute nicht nachweisbar, ob Johann Joachim Quantz auch diese spezielle Triosonate von Schaffrath kannte und wie er sie möglicherweise eingeschätzt hatte. Hält man sich aber nur an seinen Kriterienkatalog, so kann man feststellen, dass Schaffraths Triosonate diesen Anforderungen in einer der zentralen Schriften der Berliner Ästhetik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollständig genügt: Theorie und Kompositionspraxis fallen an dieser Stelle in nahezu idealer Weise zusammen.

Rezeption

Die ungebrochene Wirkungsmächtigkeit dieses ehemals Berliner Diskurses zeigt sich noch in den 1790er Jahren, wenn Koch Sulzers Anmerkungen über das Trio wörtlich zitiert. Allerdings konstatiert Koch, dass die bei Sulzer favorisierten Trios – mit drei gleichrangigen, kontrapunktisch geführten Stimmen – zu seiner Zeit bereits aus der Mode gekommen seien (Heinrich Christoph Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition, Leipzig 1793, Studienausgabe, hrsg. von Jo Wilhelm Siebert, Hannover 2007, S. 528). Auch Trios mit zwei Haupt- und einer begleitenden Nebenstimme würden kaum noch geschrieben oder gespielt. Koch begründet diese Tatsache mit dem Aufkommen des virtuosen Konzerts und dem zu seiner Zeit beliebteren Quartett:

„Ohngefähr die Mitte dieses Jahrhunderts war derjenige Zeitpunkt, in welchem diese Gattung der Sonate am stärksten bearbeitet wurde, und in welchem viele Tonsetzer sehr schätzbare Producte dieser Art geliefert haben, die aber größtenteils nur durch Abschriften hier und da bekannt worden sind, und die theils wegen des anjetzt beliebten Quartets, theils auch wegen des allgemeinen Hanges der jetzigen Virtuosen zum Concertspielen, ungebraucht vermodern“ (ebd.).

Außerdem erwähnt er noch eine andere Art des Trios, in der nur eine Hauptstimme vom Bass und der zweiten Oberstimme (als einer „Füllstimme“) begleitet wird. Diese Art ist ihm allerdings nur die kurze Bemerkung wert, dass sie „in der Hauptstimme einen sehr reizenden und ausdrucksvollen Gesang“ erfordert (ebd.). Aus der Kürze der Bemerkung könnte darauf zu schließen sein, dass Koch nur wenige erwähnenswerte Beispiele hierfür kannte. Doch war auch diese Kompositionsweise keineswegs neu, wie zum Beispiel der Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner in seinem ca. 1744 entstandenen Trio h-Moll GWV 219 (hrsg. von Vanessa Mayer, Edition Schott, Mainz 2007) für Flöte, Violine und Basso continuo beweist, in dem er der Violine eindeutig die Hauptstimme zuerkennt und die Flöte nur im kurzen Mittelteil des zweiten Satzes „solistisch“ in Erscheinung tritt. Graupner wirkte in Hessen – an der Diskrepanz der musikalischen Tonfälle wird deutlich, wie in sich geschlossen die Berliner und mitteldeutsche Musikwelt im 18. Jahrhundert gewirkt haben muss. Schaffraths Musik müsste für die von Koch imaginierten Zuhörer der 1790er Jahre also bereits damals in jeder Hinsicht veraltet, aber kontrapunktisch gelehrt (und insofern kompositionstechnisch auch „lehrreich“) geklungen haben.

Zweifelsohne lässt sich die Frage bejahen, ob Schaffraths g-Moll-Trio gleichsam in die Berliner Musikästhetik seiner Zeit hineinkomponiert worden sei. Der Vergleich mit allen angeführten Autorenmeinungen ergab keine Differenzen. Gerade weil wir um Christoph Schaffraths pädagogische Interessen wissen, erscheint es nicht fern, auch seinen Kompositionen wenn schon nicht einen klar belehrenden Impetus, so doch wenigstens den Wunsch nach einer gewissen Musterhaftigkeit zu attestieren. Im Nichtabweichen von vorgegebenen Formen und Mustern, im Ausreizen der durch so viele Traditionen klar definierten Grenzen liegt ein wesentlicher Reiz seiner Stücke. Es kommt zu keinem großen Ausbruch, keiner offenen Verletzung der Regeln. Also entscheiden, auch hier der Theorie der Gattung gemäß, gerade die Details über die musikalische Unverwechselbarkeit. Eben diese ästhetische Passgenauigkeit auf allen Ebenen des Tonsatzes und seiner sozialen Einbettung erklärt dann aber auch, warum Schaffrath vor allem nach dem Tode seines Dienstherren Friedrich II. im Jahr 1786, dessen Musikgeschmack schon zu Lebzeiten als überholt gegolten hatte, so schnell und bis vor kurzer Zeit in Vergessenheit geriet.

[Dieser Artikel basiert auf der 2013 geschriebenen Diplomarbeit der Verfasserin.]

Notenbeispiele


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