
Stephan Krehl (1864–1924)
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Im Jahre 1912 erschien das Buch »Musikerelend« des Komponisten und Musiktheoretikers Stephan Krehl (1864–1924). Krehl, seit 1902 am Leipziger Konservatorium tätig und von 1907 bis zu seinem Tod Leiter der Institution, stellte dort laut Untertitel »Betrachtungen über trostlose und unwürdige Zustände im Musikerberuf« an. Sie sind polemisch formuliert und geben unmittelbare, heute teils kurios anmutende Einblicke in seine Sicht des Musiklebens, insbesondere mit Blick auf die soziale Stellung der Musiker_innen, in einer Zeit des Umbruchs.
Stephan Krehl (1864–1924):
Musikerelend
Betrachtungen über trostlose und unwürdige Zustände im Musikerberuf
[Teil VII – Schluss]
Leipzig: C. F. W. Siegel [1912].
[99] 6. Mehr Liebe.
Erscheint es nicht sonderbar, den Künstlern, welche schon genug von Liebesaffären aller Art in Bewegung gehalten werden, noch mehr Liebe wünschen zu wollen? Davon, daß die geschlechtliche Zuneigung sich mit größerer Wärme entfalte, soll aber wahrhaftig auch nicht die Rede sein. Diese Liebe könnte eher von Zeit zu Zeit zur Beruhigung kalt übergossen werden. In guter oder übler Weise bricht sie ja doch immer wieder stark genug von selbst hervor. Eine reine und edle Zuneigung zwischen jungen Leuten ist gewiß etwas Herrliches. Ohne Liebe wird der Mensch, vor allem der künstlerisch veranlagte Mensch, fast stets ein armes und unvollkommenes Geschöpf sein. Zwischen Liebe und Liebe ist aber ein gewaltiger Unterschied. Fast häufiger als eine echte, beseligende Liebe läßt sich ein unangenehmes Flirten, ein Profanieren der Liebesgefühle beobachten. Oft genug auch dringt die Kunde von skandalösen Betätigungen perverser Neigungen zu uns, woran die öffentliche Meinung unglaublicherweise sehr wenig Anstoß nimmt. Müßte nicht viel energischer gegen die falschen und unsauberen Triebe angekämpft werden? Sind sie doch unschön, enorm schädlich und empörend. Wer es allerdings für unpassend erachtet, mit der Jugend über sexuelle Probleme zu sprechen, wird lieber zusehen, wie im stillen eine Vergiftung und Zerstörung weiter schreitet, als daß er selbst an öffentlicher Aufklärung teilnimmt und zur Aufdeckung von Schäden auch nur einen Finger rührt. Die Ansichten über Moral und Schicklichkeit sind leider gerade in den Kreisen recht verworren, welche viel auf äußeren Anstand geben. Begegnet man doch Leuten, die nichts darin finden, mit Lebemännern, Ehebrechern, perversen Naturen aller Art zu verkehren, solange diese Ehrenmänner nur behaupten »Gentlemen« zu sein und solange sie der sogenannten guten Gesellschaft angehören. Einen armen [100] aber sittenreinen Atheisten der unteren Klassen weisen diese empfindsamen Naturen schroff von sich und verdammen ihn. Doch gleichgültig wie die Liebeleien beschaffen sind. Nur gar zu leicht üben sie einen ungünstigen Einfluß aus. Wieviel Zeit, wieviel Kraft, wieviel Arbeitslust wird bei all den scheinbar unschuldigen Liebeständeleien unnütz vergeudet. Für viele Jünglinge ist »von Liebe erfaßt« gleichbedeutend wie »mit Blindheit geschlagen«. Und in der Blindheit tappt der Betörte hin und her, ohne zu wissen, was war und was kommen wird, ohne entschlußfähig zu sein, ohne vernünftig arbeiten zu können. Auf irrige Bahnen wird die Jugend nur zu leicht durch falsche Vorbilder gelockt. Unglaubliche Beispiele grober Sinnlichkeit und unkultivierter Liebe werden in der modernen Literatur ausgiebig genug als scheinbar ideale Muster vorgeführt. Ist es schließlich verwunderlich, daß auf kritiklose und lüsterne Anbeter des Modernismus die rohen Naturschilderungen intensiver als vornehme Idealbilder wirken? Sollte der Künstlerjugend ein Vortrag über die geschlechtliche Liebe gehalten werden, dann wäre wohl in erster Linie zu größter Mäßigung, zur Zähmung allen Ungestüms aufzufordern.
Eine andere Liebe könnte aber mehr erstarken: die echte Hingabe an die Kunst, die Aufopferung für eine große und heilige Sache. Leider ist nicht zu bestreiten, daß die neuerdings allgemeinere Beschäftigung mit den Künsten die Liebe zu ihnen nicht vermehrt hat. Begegnet man doch jetzt einer spekulationslosen Liebe zur Kunst selten genug. In unausstehlicher Manier brüsten sich die einen mit ihrer Kunstbegeisterung; andere geben deutlich zu erkennen, daß ihnen die Beschäftigung mit der Kunst nur der Vorwand für irgendeine Machenschaft ist. Selbst begabte Künstler neigen dazu, aus der Kunst ein Geschäft zu machen. An dem jüngsten Künstlernachwuchs ist unleugbar eine unangenehme Blasiertheit, ein verletzender Indifferentismus auffallend. Überall ist [101] der Mangel an bescheidener, aber inniger und ehrlicher Hingabe an die Kunst zu spüren. Wie die Künstler kalt und berechnend, so sind ihre Werke frostig und berechnet. Alle eigenartigen Dissonanzfolgen würden ja gar nicht weiter stören, wenn nur in ihnen eine große melodische Bewegung zu verspüren wäre. Vom wahren musikalischen Ausdruck, welcher in seiner melodischen Folge den Hörer zwingt, ist aber da gar nichts zu konstatieren. Die musikalische Rede ist nicht fließend; nur ein Lallen, ein Stammeln in unzusammenhängenden Phrasen wird vernommen. Durch ein ganz apartes Verfahren im Auszieren und Verbinden unbedeutender Floskeln vertuscht der Tonkünstler die Hilflosigkeit in der großen Diktion. Die Sache wird auch dadurch nicht geistreich, daß von unverständigen Schwärmern die Unkultur in solchen liebeleeren Werken als Impressionismus entschuldigt und verherrlicht wird. Mag das auch sehr gelehrt klingen: impressionistische Musik; die Bezeichnung bessert doch an einer verfehlten Tonschöpfung nichts. Für die Musik ist es überhaupt durchaus sinnlos, von Impressionismus zu sprechen.
Die Maler hatten wohl seinerzeit vollkommen recht, als sie die Rückkehr zur Natur verlangten und an Stelle der Atelierbeleuchtung die freie Belichtung in der Natur forderten. Die Musik gibt aber nichts, wie es ist, wieder, sondern deutet alles mir symbolisch aus. Wenn das malerische Verfahren in der Musik überhaupt zur Anwendung kommen sollte, könnte höchstens von einer impressionistischen Symbolik oder einem symbolischen Impressionismus gesprochen werden. Die Zeloten unter den impressionistischen Malern begnügen sich ja aber nicht einmal damit, eine größere Natürlichkeit zu erzielen, sie streben noch eine Spezialität an. Als ob sie die Natur mit halbgeschlossenen Augen oder wie Kurzsichtige betrachtet hätten, so lassen sie in den Gemälden alle scharfen Konturen verschwinden und in den Nebeln vergehen. Der Zuschauer soll die absonderlich verschwommenen Darstellungen gleich[102]falls mit getrübtem Blick genießen. Bei den extrem impressionistischen Musikschöpfungen müßte dementsprechend der Zuhörer die Ohren zukneifen. Am besten wäre es vielleicht, sie vollkommen zu verstopfen. Das ist wohl aber gar nicht die Ambition der neuen Musikheiligen, nur halb gehört oder gar überhört zu werden. Sie kommen im Gegenteil in aufdringlicher Art dem Hörer näher und belästigen ihn über Gebühr. Klingen Tonfolgen außergewöhnlich bizarr, so glauben Überkluge deshalb auf Exotik schließen zu müssen. Allerdings sind in letzter Zeit neuerungssüchtige Tonpoeten nicht selten orientalischer Abstammung gewesen. Solchen geschäftsklugen Exoten mag das rein germanische Musikempfinden bisweilen abgehen. Im Grunde ist aber doch all die polyphone Musik, mag sie genannt werden wie sie will, als eine Variierung unseres Tonsystems zu erklären, von ihm aus abzuurteilen. Die Tonfolgen in neuzeitlichen Musikwerken fallen nicht auf, weil sie impressionistisch oder exotisch, sondern weil sie gekünstelt und unnatürlich sind. Das Gefühl, der Komponist habe nur aus Reklamebedürfnis geschrieben, läßt den Hörer nicht los. Spürt derselbe die sensationelle Mache, so wird er nicht gepackt und begeistert, er wird abgestoßen und verärgert. Den absonderlichen Schöpfungen fehlt eben zu sehr die erwärmende Liebe. Jeder Kundige weiß ja, daß sich Dissonanzfolgen, wie sie neuerdings in der Musik üblich sind, ungleich leichter als Folgen von Konsonanzen, Kontrapunkte, welche harmonisch nicht übereinstimmen, sich schneller als harmonsichc Gegenstimmen bilden lassen. Nicht wenige Tonsetzer experimentieren ganz unbekümmert; sie empfinden genau, wieviel sie sich leisten können, ohne als Ignoranten verschrien zu werden. Man ist raffiniert nachsichtig. Werden doch selbst ungesund frühreifen Wunderkindern die Fehler, die sie begehen, nicht angerechnet und ihnen dadurch Augenblickserfolge verschafft, wie sie selbst ausgereifte Künstler selten zu verzeichnen haben. [103] Auch in solchen Fällen wird der Dilettantismus in der Arbeit, das Ungeschick im Kontrapunktischen, die Fahrlässigkeit in der Klangverbindung als genialer Impressionismus bezeichnet. Und damit ist die Kritik vollendet.
Bei jeder geschäftlichen Unternehmung spielt die Inszenierung eine gewichtige Rolle. Kunstschöpfungen sind jetzt bisweilen scheinbar nichts anderes als geschäftliche Unternehmungen. Da müssen die Komponisten sich vorsorglich um eine geschickte Aufmachung kümmern. Viele Musiker sinnen und sinnen auf Reklamemittel, um sich bemerkbar zu machen. In der Musik ist es natürlich viel schwerer als auf anderen Gebieten, für die man schon mit einem einfachen Polizeiverbot werben kann, Aufsehen zu erregen. Ein Boxer, eine Nackttänzerin, ein unpassendes Possenspiel, denen das öffentliche Erscheinen anfangs versagt war, finden nach Aufhebung der über sie verhängten Sperre einen ungeahnten Zulauf. In der Musik hat man Polizeiverbote noch nicht zu Reklamezwecken ausnutzen können, weil die Behörden ein gemeingefährliches Treiben in den Kompositionen zurzeit nicht feststellen konnten. Ohne Zweifel sind aber viele Musikwerke wenn auch nicht gemeingefährlich, so doch durchaus anrüchig und verwerflich. Da nützen alle Rechtfertigungen nichts, die Musik wolle wie andere Künste zur Natürlichkeit oder gar zur naivprimitiven Einfachheit zurückkehren. Unterscheidet sich doch die Musik vollständig darin von den anderen Künsten, daß ihre Sprechweise nichts der Natur Abgelauschtes, sondern ein Kunstprodukt ist, an dessen Vervollkommnung Genies jahrhundertelang gearbeitet haben. Die Hauptherrlichkeit dieses kunstreichen, mit solch unendlicher Liebe konstruierten Aufbaues, die Selbständigkeit der Stimmführung, die Melodie soll mit einem Male beiseite gelassen werden und Ersatz in einem ganz törichten, lieblosen, harmonischen Verfahren finden. Nein! So äußert sich niemals die echte Kunstbegeisterung. Das sind nur Schwindelmanöver, um [104] Originalität vorzutäuschen. Die Nichtigkeit der inneren Anlage entgeht einem achtsamen Menschen nicht, mag der Autor dank einer glücklichen technischen Begabung seiner Schöpfung auch ein glänzendes Äußere verliehen haben. Lieblos erfundene Kompositionen werden niemals imstande sein, bei dem Hörer Liebe zu erwecken.
Mögen größere Werke noch so kalt und unempfunden erscheinen, sie sind doch immerhin erfunden worden. Zum Komponieren gehört stets technisches Geschick, welchem wir bei allem Jammer über den Mangel an Herz und Seele unsere Bewunderung nicht vollständig versagen können. Wie tief beklagenswert sind nun erst alle Personen, die sich ohne Liebe und ohne Begabung der Kunst widmen. Unglückliche werden der Kunst zugeführt, weil sie für andere Berufe zu dumm sind. Von denen wollen wir nicht weiter sprechen. Können diese doch keine ernste Zuneigung zum Beruf haben; denn selbst dazu sind sie zu unbegabt. Mehr wie genug arme Schlucker werden aber Künstler, nur um das tägliche Brot zu verdienen. Diesen Bedauernswerten fehlt zu fruchtbringender Beschäftigung mit der Kunst in vielen Fällen seelische und geistige Bildung, ferner aber auch fast stets die echte Liebe zur Kunst. Und selbst die jungen Leute, welche sich angeblich aus freier Wahl dem Künstlerberuf zuwenden, sind bisweilen entsetzlich lau in ihren Bestrebungen. Wäre es bei flammender Begeisterung möglich, daß die Studien so einseitig, ja interesselos betrieben würden, wie wir es nicht selten festzustellen verpflichtet sind. Was sich nicht als direkt nutzbringend erweist, wird von vielen Schülern ignoriert. Für die Geschichte der Musik, für die Entwicklung der Formen, für die Kunst des Vortrags, der Phrasierung ist nicht eine Spur von Teilnahme zu bemerken. Nur der törichte Ehrgeiz, sich einmal als Sänger, als Virtuos auf dem Podium zu zeigen, mit irgend etwas vor der großen Menge zu prahlen, gibt einen äußeren Anlaß zur Beschäftigung mit der Kunst. In ihrem Aufbau, nach ihrer [105] Herkunft sind die Musikstücke für den Vortragenden bedeutungslos. Der kümmert sich ja doch nur darum, ob die Werke ihm gelegen sind, ob er damit Erfolg haben kann. Auf die Frage nach der Liebe zur Kunst würde man wohl von einem solchen Enthusiasten mehr wie einmal zu hören bekommen: »Die Kunst liebe ich nur so lange, als sie mir dienlich ist. Was habe ich denn auch von ihr zu erwarten? Sie kann mir doch nicht alles ersetzen, was ich für sie aufwende!«
Wenn sich allerdings die Liebe zur Kunst immer nach dem äußeren Nutzen richtet, der aus dem Verhältnis zu ihr resultieren kann, dann wird es eventuell schlecht um sie bestellt sein. Was sollen da Komponisten sagen, die Jahrzehnte lang arbeiten, Dutzende von guten Werken veröffentlichen, ohne auch nur das geringste damit zu verdienen? Es ist ja immerhin denkbar, daß diese Strebsamen in der Absicht arbeiten, doch einmal ein Geschäft machen zu können. Bewundernswert bleibt jedenfalls die Beharrlichkeit, mit welcher solche Autoren weiterschaffen, mögen sie auch schlecht gemacht werden, sowie sie sich an die Öffentlichkeit wagen.
Der Uneingeweihte ahnt freilich nicht, was den wahren Künstler, dem man selten genug begegnet, zwingt, selbst dann unermüdlich zu schaffen, wenn er auch nicht anerkannt, wenn er mißverstanden oder gar verunglimpft wird. Es ist die innige, heiße Liebe zur Kunst, die anspruchslose Hingabe, die nichts fordert. Tausendfach wird sie aber doch belohnt. Kann jemand größere und reinere Wonnen durchkosten als ein Künstler, der ganz in dem Erschaffen eines Werkes aufgeht? Welch unendliche Seligkeit überkommt einen so von Gott Begnadeten! Gar mancher würde sicher gern ein eben vollendetes Kunstwerk hinopfern, wenn er nur durch dieses Opfer seinen heißen Dank für die Stunden höchsten Glückes, höchster Befriedigung abstatten könnte, welche ihm beim Komponieren zu teil geworden sind. Die reine Liebe zur Kunst wird dem [106] echten Künstler wahrhaftig köstlich vergolten, wenn er auch kein Geld verdient und keinen Ruhm gewinnt.
Eine selbstlose Liebe soll aber keineswegs als Spezialität einzelner Komponisten gepriesen werden. Auch praktische Musiker aller Art sind schwärmerisch ihrer Kunst ergeben und wirken in rührender Aufopferung, ohne Klagen laut werden zu lassen, wenn für alle verwendete Mühe eine Entschädigung äußerlich nicht erzielt wird. Innerlich sind sie ja doch unermeßlich reich belohnt worden. Die Denkweise, der Empfindungsreichtum solch hingebungsvoller Naturen müßte der Jugend immer von neuem zum Muster vorgehalten werden. Leider ist nur zu häufig der äußere Lebenslauf der stillen Arbeiter so unendlich einfach, daß seine Beschreibung als nicht lohnend erscheint. Die Welt erfährt daher nichts von dieser wirklichen Vornehmheit und Größe der Gesinnung. An den Beispielen von Aufopferungsfreudigkeit, von unspekulativem Sichversenken könnten die jungen Leute gewiß gar viel lernen. Wird jemals etwas Gutes entstehen, wenn die Liebe zum Beruf fehlt? Liegt es nicht jedem Verständigen unbedingt am Herzen, nach Kräften alle Mitstrebenden durch Wort und Tat zu hingebender Aufopferung anzufeuern? Der Kampf gegen die Kalten und Begeisterungslosen, welche der Kunst nichts nützen, muß mit Energie geführt werden. Gewissenlose versuchen durch Vernichtung des Gefühls der Pietät die verehrungsvolle Liebe zur Kunst im Keime zu ersticken. Solch verderblichem Treiben gilt es Einhalt zu tun. Die Ehrfurcht vor der erhabenen Größe der Meisterschöpfungen früherer Zeiten darf uns niemand in frevelhaftem Leichtsinn rauben wollen. Eine traurige Richtung in der modernen Kunst will sich durch Verunglimpfen anerkannter Werke bemerkbar machen und damit etwas zur Selbstverherrlichung bei tragen. Das kann zu keinem guten Ende führen. Baut doch jede neue Richtung auf einer vergangenen auf. Wer die Vergangenheit mißachtet, zieht sich selbst den Boden unter den Füßen fort.
[107] Vielleicht ist der Mangel an vornehmer Gesinnung, das Fehlen einer aufrichtigen Liebe zur Kunst ein Hauptgrund für all die elenden Zustände im Beruf des Musikers. Uns dünkt es daher eine Pflicht zu sein, in allen Kreisen, welche sich ernstlich mit der Musik befassen wollen, zu einer aufrichtigen Begeisterung anzufeuern. Gleichgültigkeit, Oberflächlichkeit, laue Empfindungen taugen nichts für Kunsteleven. Wer nicht einen innern heißen Drang zur Betätigung auf künstlerischem Gebiete spürt, der bleibe fern. Zum Lebensberuf wähle er irgend etwas anderes als die Kunst. In ihr läßt sich nichts leisten, wenn nicht alles Tun in rührender Aufopferung durch eine grenzenlose Zuneigung bestimmt wird. Ganz gleichgültig, ob jemand nur eine bescheidene Stellung auszufüllen hat oder dank seiner hervorragenden Anlagen zu Großem berufen ist: die himmlische Kunst verträgt keinen Kleinmut. Vom Publikum wird der Wert eines Künstlers nach dem Ruf, den er hat, taxiert. Daß ein äußeres Renommee, eventuell durch Reklame hergestellt, mit dem inneren Wert des Menschen nichts zu tun hat, wissen die Einsichtigen. In ihrer idealen Bedeutung sind alle Künstler, die es von Grund aus ehrlich meinen, gleich hoch einzuschätzen. »Meister ist jeder und gleich ein jeder der Größten und Besten, wenn er das Eigenste gibt, was er wie Keiner vermag«. Das Eigenste zu geben, wird ihm nur glücken, wenn er sich in schwärmerischer Liebe, ohne jeden Vorbehalt der Kunst hinopfert. Von dem reichen Empfindungsleben etwas auf die mitstrebenden Kunstgenüssen zu übertragen, muß ein herrliches Bewußtsein für ihn werden. Die Werke sind ja doch vergänglich; nur Kunstschöpfungen eines Genies ist ein längeres Dasein beschieden. Die Liebe aber lebet in Ewigkeit fort. Wer ihrer teilhaftig gewesen ist, dessen Wirken wird auch für alle Zeiten gesegnet sein.