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TV-Musik: »24«

Susanne Jank und Johannes Tunger

Das emotionalisierende Echtzeitgefühl der Musik in der Serie 24

Jack Bauer (Kiefer Sutherland), ein Agent der Anti-Terror-Einheit von Los Angeles, bestreitet in der Serie 24 pro Staffel einen zu lösenden Fall. In acht Staffeln wird die jeweilige Handlung in Echtzeit innerhalb von 24 Stunden wiedergegeben. Die Serie wurde zwischen 2001 und 2010 von der Firma 20th Century Fox produziert (Idee: Joel Surnow und Robert Cochran).

Die Musik dient in dieser Serie zum Erhalt und zur Repräsentation der Echtzeit und eines spannungsvollen Echtzeitgedankens. Sie reflektiert die Handlung des Seriengeschehens in deskriptiver Haltung. Dabei ist besonders auffällig, dass der Komponist Sean Callery die Repräsentation der echtzeitlichen Handlung musikalisch imitiert. So geht Abwesenheit von Musik häufig mit Stillstand der Handlung einher. Abgesehen von Stimmungsmomenten hat die Serienmusik weithin einen treibenden Charakter. Durch die Anwendung und Verschmelzung verschiedener Filmmusiktechniken werden konstant durch die Staffeln der Serie hinweg zwischen Ton/Musik und Bild synchron verlaufende Gefühls- und Handlungsmomente erzeugt, die den Zuschauer in eine auf die Handlung fixierte Rezeptionshaltung versetzen.

Die hier kooperierend wirkenden Kompositionstechniken zur musikalischen Untermalung des Geschehens entsprechen den etablierten Methoden der Filmmusikgestaltung:

  1. Die Mood-Technik gründet auf dem barocken Gedanken der Affektenlehre. Das bedeutet, dass hier die Darstellung seelischer Erregungszustände in der Musik widergespiegelt wird. Diese Technik ist also ein »organisatorisches Verfahren, den zu vertonenden Filmszenen musikalische Stimmungsbilder zuzuordnen, die thematisch mehr oder minder unabhängig sind.«[1] Dies ist eine der Hauptanwendungstechniken der Musik in 24 und erstreckt sich in Kooperation mit anderen Techniken fast ausnahmslos durch die gesamte Serie.
  2. Als deskriptive Technik wird ein illustrierendes[2] Ton/Bild-Verhältnis bezeichnet. Dabei werden einzelne Bewegungen oder Worte im Film musikalisch hervorgehoben. Die Anwendung dieser Kompositionsmethode findet regelmäßig bei der Einblendung des Countdowns statt, da hier die Musik das Klicken der verstreichenden Sekunden synchron dargestellt wird.
  3. Leitmotivtechnik: Unter Leitmotiv versteht man ein musikalisches Thema, das in der filmischen Handlung an eine wiederkehrende, konkrete Situation oder an eine Figur gebunden ist. Schon Richard Wagner ordnete in seinen Kompositionen wiederkehrende Motive einzelnen Figurbildern zu und erzeugte so einen »Wiedererkennungswert« der jeweiligen Charaktere.[3] Norbert Jürgen Schneider charakterisierte in den 1980er Jahren das Motivzitat[4] als eines von drei Typen in der Verwendung von Leitmotivtechniken. Hierbei wird ein wiederholt erscheinendes und unverändert erklingendes Leitmotiv im Zuge der filmischen Handlung wiedergegeben. Im Seriengeschehen von 24 findet die Anwendung des Motivzitates wiederholt statt. So ist beispielsweise in der ersten Staffel bei jedem Auftreten des späteren US-Präsidenten Richard Palmer ein charakteristisches, kurzes, in seinem strukturellen Aufbau identisches Motiv hörbar. Ebenso findet diese Technik bei der persönlichen Leitmotivik des Protagonisten Jack Bauer über die Staffeln hinweg Anwendung.

Erzeugung von Emotionen als Stilmittel in der musikalischen Wirkfunktion

Im aktuellen Diskurs zum Forschungsfeld Emotionen gilt der Appraisal-Ansatz als eine Grundlage zum Entstehens- und Wirkprozess von Emotionen:

»Dieser besagt, dass es nicht die Situationen selbst sind, die Emotionen in uns hervorrufen, sondern vielmehr die Interpretation der Situationen dazu führt, dass wir bestimmte Emotionen erleben.«[5]

Die Musik in 24 tritt an die Stelle der persönlichen Interpretation der Situation und evoziert die beabsichtigte Emotion der Produzenten. Um den Effekt des immerwährenden Mitfühlens mit den Charakteren zu erhöhen, sind fast alle Handlungselemente der Serie mit Musik unterlegt. Die Musik interpretiert auch den aktuellen Handlungsverlauf und reflektiert dabei beispielsweise den emotionalen Zustand des jeweiligen Akteurs oder lässt durch den musikalisch-dynamischen Verlauf bevorstehende Spannungsbögen erahnen. Somit wird in der Serie nicht nur eine Handlung konstruiert, sondern durch die Anwendung der Filmmusiktechniken auch eine Emotionsentwicklung des Zuschauenden konstruiert.

Echtzeitaspekte in der Musik zu 24

Sean Callery beschreibt die Konzeption der Musik in 24 als »underscoring«.[6] Tatsächlich ist dies die maßgebliche Kompositionstechnik in der Serie. »With the longer cues«[7] soll die Handlung interessant gehalten werden, »without getting fatiguing in any way«.[8] Ähnlich dem Hauptcharakter Jack Bauer ist die Musik »almost non-stop […]. Nothing is stopping him, and the music isn’t stopping either«.[9]

Callery bezieht sich dabei auf »very unwavering rhythms, beats, or held textures/sonorities«.[10] Doch auch im Gesamtbild der Serie spiegelt sich das Bild des unaufhaltsamen, niemals aufgebenden Protagonisten in der Musik und ihrer Dauer wieder. In der ersten Staffel gibt es einen durchschnittlichen Musikanteil von ca. 70 % je Folge:

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Unterstützt wird die fast permanente Untermalung durch ein prägnant kurzes Intro von 10 Sekunden am Beginn jeder Folge, in welchem nur die Zahl »24« als Logo ein- und ausgeblendet wird.[11] Dem folgt direkt die Rückschau auf die bisherige Story und der Einstieg in die aktuelle Handlung durch eine Schrifteinblendung, dass alles in der Serie in Echtzeit geschieht. Die Rückschau ist konsequent vollständig mit Musik unterlegt.

Die fehlende Titelmelodie, die konstante Unterlegung der Rückschau mit Musik und der direkte Einstieg mit dem Hinweis der Echtzeit zwingt die Rezipierenden bereits zu Beginn jeder Folge in ein emotionalisiertes Echtzeitgefühl.

Wie oben erwähnt, beschreibt Callery die Kompositionstechnik als Underscoring und verweist auf die ausgedehnten Cues, die durch ihre Länge die Verbindung von Szenen und Handlungssträngen gewährleisten. So werden einige Szenen musikalisch übergeblendet, wodurch trotz des Wechsels der Szenerie eine flüssige Wahrnehmung entsteht. Besonders auffällig ist dies in Szenen, in denen keine Musik erklingt. Beginnt die neue, musiklose Szene, gibt es ein fading out der zuvor erklungenen Musik. Kommt die Szene zu ihrem Ende, erklingt bereits die Musik der nachfolgenden Szene, während die aktuelle Szene noch läuft. Bis auf zwei Ausnahmen in der ersten Staffel ist jede musiklose Szene durch die vorhergehende und folgende Szene musikalisch umrahmt.

Szenen ohne Musik sind in der Regel handlungshemmend, etwa dann, wenn Präsident Palmer mit seinem Sohn über den Mord redet, ihm sein Konzept vorlegt, wie sie als Familie damit umgehen können, aber der Sohn es ablehnt. Zum einen hat diese Szene nichts konkret mit der Gefahr eines Terroranschlages zu tun, zum anderen hält Palmers Sohn ihn bei der Lösung dieser »Mission« auf. Vergleichbar gilt das, als Carrie während ihrer Entführung durch den angeblichen Mr. Allen versucht, Jack telefonisch zu erreichen, ihr dies aber aufgrund fehlenden Empfangs misslingt. Es findet keine neue Verstrickung von Taten oder Handlungssträngen statt und hält den Handlungsfortlauf in Richtung Lösung des Konfliktes in diesem Moment damit auf.

Trotz des Underscorings und langer Cues nutzen Callery und die Produzenten der Serie die Musik, um Bilder durch musikalische Effekte hervorzuheben. Bild und Ton werden direkt synchronisiert, sodass gesehene Akzente auch akustisch wahrgenommen werden.

Besonders prägnant ist dies in Episode 22 der zweiten Staffel zu sehen. Kim versucht das Haus zu verlassen, bevor der Mörder und der Vater des Mädchens, für das sie Kindermädchen ist, Mr. Matheson, wieder zurückkehrt. Doch dieser hat inzwischen den Polizisten getötet, der Kim abholen sollte und sie alsbald entdeckt. Kim flüchtet daraufhin in ein Zimmer und von dort auf den Dachboden. Das Öffnen der Zimmertür zum leeren Zimmer führt von aufbrausender und treibender Musik in scheinbare Stille. Jede nun folgende Handlung wird durch Musik akzentuiert. Mr. Matheson legt die Hand an die Klinke zum Kleiderschrank; er öffnet die Schiebetür; er wechselt die Seite, um den Raum zu inspizieren; er sieht den Strick der hochgezogenen Leiter zum Dachboden; er zieht die Leiter herunter; er erklimmt die letzte Stufe: Jede dieser Aktionen ist durch ein tiefes Wummern unterlegt:

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Ähnliche Beispiele finden sich im Lauf der Serie besonders dann, wenn Personen miteinander sprechen und jede neue Kameraperspektive durch einen Akzent in der Musik begleitet wird.

* * *

Die in Echtzeit ablaufende Handlung der Serie 24 wird, wie sich gezeigt hat, durch Musik repräsentiert und erhält das Gefühl dieser Echtzeit. Durch die Anwendung von Underscoring werden Bilder/Szenen in Echtzeit beschrieben und Szenenübergänge mit vermeintlichen (!) Zeitsprüngen zusammengeschlossen.

Die Musik wirkt dadurch auf den Zuschauer emotionalisierend. Durch die klassische Anwendung der üblichen Filmmusiktechniken und deren kooperierende Momente unterstreicht das musikalische Geschehen die Handlung in besonderer Weise. Neben der Kommentierung des Filmgeschehens und der Erzeugung von Anteilnahme des Zuschauers hat die Musik also keine eigenständige Funktion im künstlerischen Sinne.

 

Nachweise

[1] Hansjörg Pauli, Filmmusik, S. 17.

[2] Nach Zofia Lissa, Ästhetik der Filmmusik, passim.

[3] Vgl. Siegfried Goslich, Leitmotiv, Sp. 588.

[4] Vgl. Norbert Jürgen Schneider, Der Film. Richard Wagners »Kunstwerk der Zukunft«?, S. 141.

[5] Anne Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun, Emotionen, S. 212.

[6] Score another Day – Interview with Sean Callery, 2014.

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Ebd.

[11] Musik für 900 Fernsehfolgen: Interview mit TV-Komponist Sean Callery.

 

Literatur

Bullerjahn, Claudia: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik, Augsburg: Wißner 2/2014.

Frenzel, Anne; Götz, Thomas; Pekrun, Reinhard: Emotionen, in: Pädagogische Psychologie, hrsg. von Elke Wild und Jens Möller, Berlin und Heidelberg: Springer 2015.

Goslich, Siegfried: Leitmotiv, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich Blume, Bd. 8, Kassel und Basel: Bärenreiter 1960.

Lissa, Zofia: Ästhetik der Filmmusik, Berlin: Henschel 1965.

Pauli, Hansjörg: Filmmusik, in: Funkkolleg Musik, Studienbegleitbrief 11, hrsg. vom Deutschen Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, Weinheim und Basel/Mainz: Beltz und Schott 1978.

Schneider, Norbert Jürgen: Der Film. Richard Wagners »Kunstwerk der Zukunft?«, in: Richard Wagner und die Musikhochschule München, hrsg. von Erich Valentin u. a., Regensburg: Bosse 1983 (Schriftenreihe der Hochschule für Musik München 4).

Die besten TV-Serien, hrsg. von Jürgen Müller, Köln: Taschen 2015.

Score another Day – Interview with Sean Callery, in: <http://www.tracksounds.com/specialfeatures/Interviews/interview_sean_callery_2014.htm> (Abruf am 9. Februar 2018).

Musik für 900 Fernsehfolgen: Interview mit TV-Komponist Sean Callery, in: <www.swp.de/muensingen/nachrichten/kultur/musik-fuer-900-fernsehfolgen_-interview-mit-tv-komponist-sean-callery-24083222.html> (Abruf am 10. Januar 2018).


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