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TV-Musik: »How I Met Your Mother«

Marina Gerlach und Hanna Hinnerichs

Die musikalische Gestaltung der Erzählstruktur in How I Met Your Mother

»Kids, I’m gonna tell you an incredible story.«

Diese Ansage des Protagonisten Ted Mosby (S01E01, Pilot) stellt den Beginn der amerikanischen Sitcom How I Met Your Mother dar. Die ZuschauerIn bekommt, neben den Kindern des Protagonisten auf dem roten Sofa sitzend, über neun Staffeln mit 208 Episoden hinweg erzählt, wie Ted seine Ehefrau kennenlernte. Dabei muss größte Geduld aufgebracht werden: Erst in der letzten Staffel kann ihr Gesicht erspäht werden, vorher müssen ein Regenschirm und ein Fuß ausreichen. Doch was sichert diese durchgehende Aufmerksamkeit auf Seite der ZuschauerInnen?

Ein wichtiger Punkt stellt das Stilmittel des »unzuverlässigen Erzählens« dar, bei dem die RezipientIn rückblickend die Wahrheit von Aussagen über die fiktionale Welt in Frage stellt.[1] Es wird Spannung erzeugt, da das Gesagte immer wieder konterkariert und dadurch Raum für Spekulationen und Wünsche der ZuschauerInnen geschaffen wird, der durch die folgenden narrativen Auflösungen geschickt eingegrenzt wird. Den Fokus unserer Forschung stellt die musikalische Gestaltung dieser Auflösung dar: Die Musik, so unsere These, dient in How I Met Your Mother als Indikator für unzuverlässiges Erzählen.

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Die Rahmenhandlung der Serie bildet im Jahr 2030 Teds Erzählung, wie er die Mutter seiner Kinder kennenlernte. Die Kernhandlung beginnt 2005 mit dem jungen Ted, der als Architekt in New York lebt und eng mit Marshall Eriksen, Barney Stinson, Robin Scherbatsky und Lily Aldrin befreundet ist, den vier weiteren ProtagonistInnen. Dabei lässt sich die Erzählstruktur in zwei Ebenen gliedern: Auf der primären Erzählebene gibt Ted als extradiegetisch-homodiegetischer Erzähler die Rahmenhandlung wieder.[2] Um die zeitliche Abgrenzung zu verdeutlichen, verwenden wir die von Bernd Leiendecker eingeführte Differenzierung von »Zukunfts-Ted« und »Gegenwarts-Ted«.[3] Den Erstgenannten bekommt die ZuschauerIn bis zum Finale nicht zu Gesicht; nur seine Stimme ist, oft am Beginn und Ende einer Episode, als Voiceover zu hören. Gegenwarts-Ted ist Hauptfigur der Binnenerzählungen auf sekundärer Ebene, die abwechselnd von ihm, seinen Freunden oder anderen Charakteren vermittelt werden. Hier handelt es sich meist um intradiegetisch-homodiegetisches Erzählen; die Figuren erzählen Geschichten, in denen sie selbst auftreten.[4] Zum Beispiel klärt Lily Ted in The Pineapple Incident am Morgen nach einer wilden Nacht darüber auf, welche Ereignisse sich in der Bar abgespielt hatten (S01E10), oder die Freunde schildern in der Folge Game Night (S01E15) abwechselnd ihre peinlichsten Erlebnisse, um Barneys Geheimnis zu erfahren.

Die von Zukunfts-Ted erzählte Rahmenhandlung folgt in den meisten Fällen einer chronologischen Erzählweise: Ted trifft in der ersten Episode von How I Met Your Mother auf seine große Liebe Robin, die in der letzten Staffel seinen Freund Barney heiratet und deren Hochzeit Schauplatz für das Aufeinandertreffen von Ted und seiner späteren Ehefrau Tracy wird (S09E23, Last Forever). Zahlreiche Rückblenden auf sekundärer Erzählebene brechen diese Struktur jedoch immer wieder auf. Beispielsweise erzählen Marshall und Gegenwarts-Ted von der abenteuerlichen Fahrt mit Marshalls Auto im ersten Studienjahr (S02E17, Arrivederci, Fiero) und Robin berichtet von ihrer Karriere als Teenagerstar in Kanada (S02E09, Slap Bet). Die dabei entstehende komplexe Struktur aus »kleinen« Rückblenden innerhalb der »großen« Rückblende, also der Rahmenerzählung von Zukunfts-Ted, bietet genügend Spielraum für das Stilmittel des unzuverlässigen Erzählens, das in How I Met Your Mother oft angewandt wird: Beispielsweise versucht Robin ihre Vergangenheit zu verstecken und erzählt den Freunden in der Episode Slap Bet von einer angeblich früheren Ehe, was schließlich jedoch als Lüge entlarvt wird. Ein weiteres Beispiel bietet die Episode The Perfect Coctail (S06E22), in der Gegenwarts-Ted seine hervorragenden Fähigkeiten beim Beatboxing nach dem Bourbon-Trinken beschreibt. Die Sequenz wird jedoch nach Lilys Erklärung, dass Ted wenig Talent habe und im alkoholisierten Zustand lediglich sich selbst falsch wahrnehme, wiederholt und widerlegt dann Teds anfängliche Aussage. Somit interpretiert die ZuschauerIn retrospektiv viele Rückblenden als unzuverlässig erzählt, da die Sequenzen nicht die Wahrheit über die fiktionale Welt dargestellt hatten.[5] Die Aufmerksamkeit der RezipientIn wird dadurch jedoch nur noch mehr eingefordert, da das Gesagte eine Fallhöhe bekommt und sich immer wieder als falsch erweisen kann. Insgesamt wird unzuverlässiges Erzählen (als Resultat von Gedächtnislücken, Fehlwahrnehmungen oder absichtlichen Lügen) von den ZuschauerInnen verziehen, da in den meisten Fällen eine kurze Zeitspanne zwischen Unwahrheit und Auflösung besteht.[6]

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Damit zur Musik: Ist sie Mit- oder Gegenspielerin der komplexen Erzählstruktur von How I Met Your Mother? Entlarvt sie Sequenzen, in denen unzuverlässig erzählt wird?

In vielen Fällen wird eine nicht der Wahrheit entsprechende Erzählung durch eine zweite, wahrhaftige Variante korrigiert. Erst dadurch kann die RezipientIn die Unwahrheit entlarven.[7] Durch die Analyse der Serienmusik wollen wir herausfinden, ob die Musik aber nicht schon vorher Hinweise liefert – auch in den Episoden, in denen die ZuschauerIn mit nicht aufgelösten lügenden Rückblenden konfrontiert wird und bis zum Schluss im Unklaren bleibt, welche der erzählten Varianten der Wahrheit, etwa in der Episode Zoo or False (S05E19).

Die Serienmusik besteht in How I Met Your Mother zu einem Großteil aus präexistenten Titeln der Rock- und Pop-Kultur aus den letzten fünf Jahrzehnte. Die eigens für die Serie komponierte Musik stammt von John Swihart. Präexistente Songs sind mit größter Sorgfalt für die entsprechenden Szenen ausgewählt worden. Sie generieren nicht nur die jeweils passende Stimmung, sondern haben in einigen Episoden eine zusätzliche Bedeutungsebene. Der Titel Victoria von den Kinks verrät in der Folge The Naked Truth (S07E02) schon vor der szenischen Enthüllung, wem Ted nach über fünf Jahren überraschend begegnen wird. Der Song beginnt leise im Hintergrund, lediglich die Gitarre ist zu hören. Nach einem Szenenwechsel ist die Kamera auf Ted gerichtet, die Musik wird lauter, und beim Übergang zum Refrain, der lauthals mit dem Namen »Victoria« beginnt, sehen wir Teds Ex-Freundin Victoria im Bild. Die Musik antizipiert hier also die Handlung. Ein weiterer solcher Moment geschieht am Anfang der achten Staffel (S08E01, Farhampton): Hier verwendet John Swihart den Song The Funeral der Band of Horses. Der Song begleitet das erste Treffen Teds und seiner zukünftigen Frau. Retrospektiv ist die Auswahl dieses Titels als Hinweis auf den Tod der Mutter in der Zukunft zu deuten.

Swiharts eigene Musik folgt größtenteils der Mood-Technik: Dabei erzeugt die Musik durch die Wahl der Instrumente, Tonlage, Dynamik und Tonart eine Stimmung, die sowohl passend als auch kontrastierend zum Bildmaterial eingesetzt werden kann. Swihart setzt diese Technik ein, um den Szenen eine stimmige Atmosphäre zu verleihen. Auf diese Weise nimmt man die Musik in der Regel eher hintergründig wahr. Von größerem Interesse sind jedoch die Ausnahmen von dieser Regel.

Betrachtet man diese Ausnahmen, stellt man fest, dass es sich oft um Szenen handelt, in den unzuverlässiges Erzählen zum Einsatz kommt. Die Musik hat dabei einen auffälligeren Charakter, so dass diese Szenen verstärkt in den Fokus der ZuschauerInnen geraten. Wie gesagt handelt es sich beim unzuverlässigen Erzählen um Unwahrheiten als Resultate von Gedächtnislücken, Fehlwahrnehmungen oder absichtlichen Lügen.[8] Szenisch meist eins zu eins umgesetzt, haben sie einen absurden Charakter, der zur Verstärkung der Komik der Szenen beiträgt. Welche Rolle spielt die Musik dabei?

Betrachtet man die Vielzahl der Szenen, in denen unzuverlässiges Erzählen eingesetzt wird, stellt man bei einem Großteil fest, dass die Musik schon vor der eigentlichen Auflösung verrät, in welcher Variante der Geschichte nicht die Wahrheit erzählt wurde. Im Vergleich zur sonst stimmungsgebenden und hintergründig wahrnehmbaren musikalischen Untermalung sticht in den entsprechenden Szenen die Musik stark heraus und besitzt zum Teil eine karikierenden Wirkung. Im Kontrast dazu wird bei Szenen, die das wahre Geschehen zeigen, kaum bis gar keine Musik verwendet. So sehen wir in der Episode The Scorpion and the Toad (S02E02) zwei Varianten von Lilys Zeit in San Francisco. In der ersten Version schildert sie ihren Aufenthalt als wunderbar und erzählt von den großartigen Menschen, die sie kennengelernt hat. Im weiteren Verlauf der Episode erzählt Lily nach ein paar Drinks dann die Wahrheit: San Francisco sei furchtbar gewesen. Die Menschen, die wir im ersten Clip sahen, sind nun plötzlich die multiplen Persönlichkeiten ihres verstörenden Busnachbarn. Musikalische Untermalung ist ausschließlich bei der gelogenen Variante zu finden; sie stützt die Beschönigungen, die Lily als Wahrheit zu verkleiden versucht. Die anschließende wahrheitsgemäße Version enthält keine Musik: Sie wurde von allen beschönigenden Ausschmückungen, somit auch von ihrer Musik, befreit. Bereits vor der Auflösung der Lüge gibt die Musik den aufmerksamen ZuschauerInnen also einen Anstoß, den Wahrheitsgehalt der Szene zu hinterfragen.

Ein weiteres Beispiel findet sich in der schon erwähnten Episode Zoo or False, in der Marshall erzählt, wie er zuvor überfallen wurde. Innerhalb der Episode sieht man den Überfall in verschiedenen Versionen; eine klare Auflösung, wie sich der Überfall wirklich ereignet hat, bekommen die ZuschauerInnen nicht. Lediglich die Musik gibt einen Hinweis, welche der Geschichten wahr sein könnte. In der ersten Variante erzählt Marshall, dass er von einem bewaffneten Räuber überfallen wurde. Als daraufhin seine Frau Lily beschließt, eine Waffe zu besorgen, schildert Marshall den Vorfall so, dass er nach einem Abstecher in den Zoo von einem Affen bestohlen wurde. Diese Variante wird von seinem Freund Barney ausgeschmückter erzählt. Im Vergleich der Varianten wird deutlich, dass die musikalische Untermalung erheblich wechselt: In Marshalls erster Fassung ist kaum Musik zu hören. Während Marshalls Affen-Variante bereits im Hintergrund von Trommeln begleitet wird, ist bei Barneys ausgeschmückter Version übertrieben komödiantische Klaviermusik zu hören, die an alte Stummfilmmusik erinnert. Hier verstärkt die Musik die Komik der Szene und zieht durch ihre Überspitztheit das Gezeigte zusätzlich ins Lächerliche.

Eine Besonderheit der Serie ist, wie schon gesagt, die komplexe Erzählstruktur. Obwohl die Rahmenhandlung chronologisch erfolgt, werden die Binnenerzählungen der einzelnen Episoden durch häufige Wechsel von Perspektiven und Zeitebenen aufgebrochen. Musikalische Beiträge der Charaktere selbst – wie Marshalls gesungene Selbstgespräche, die Original-Songs der Serie (You Just Got Slapped, Let’s Go To The Mall) – sowie Musical-ähnliche Auftritte wie Superdate und Nothing Suits Me Like A Suit etablieren sowohl eine weitere Ebene, auf der die Handlung vorangetrieben wird, als auch ein weiteres Mittel, um die komplexe Erzählstruktur noch stärker aufzubrechen.

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Die von uns untersuchten Szenen zeigen exemplarisch, welche Funktionen die Musik innerhalb der Serie einnimmt. Sie untermauern insbesondere unsere These, dass die Serienmusik als Indikator für unzuverlässiges Erzählen dient. Die Musik in How I Met Your Mother ist also ein wesentlicher Bestandteil der Serie; sie entlarvt Unwahrheiten, fungiert als Handlungsträgerin, stützt die komplexe Erzählstruktur und bewirkt durch ihr teilweise überspitztes Verhältnis zum Bildmaterial eine Verstärkung der Komik.

 

Nachweise

[1] Bernd Leiendecker, Unzuverlässiges Erzählen als Mittel der Komik, S. 233.

[2] Gérard Genette, Die Erzählung, S. 178.

[3] Bernd Leiendecker, Unzuverlässiges Erzählen als Mittel der Komik, S. 234.

[4] Gérard Genette, Die Erzählung, S. 163f.

[5] Bernd Leiendecker, Unzuverlässiges Erzählen als Mittel der Komik, S. 233.

[6] Ebd., S. 237ff.

[7] Ebd., S. 237.

[8] Ebd., S. 237ff.

 

Literatur

Genette, Gérard: Die Erzählung, München: Fink 1998.

Leiendecker, Bernd: Unzuverlässiges Erzählen als Mittel der Komik in How I Met Your Mother, in: Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien, hrsg. von Susanne Eichner, Lothar Mikos und Rainer Winter, Wiesbaden: Springer 2013.

Maintz, Johann Jakob: Formen und Funktionen unzuverlässiges Erzählens in der Sitcom How I Met Your Mother, in: Studentische Zeitschrift für Medien und Kommunikation, hrsg. von Friedrich, Kantekin Hamburg: 2015, <http://stuz-muk.de/wp-content/uploads/2015/10/How-I-Met-Your-Mother_2_2.pdf> (Abruf am 7. Februar 2018).


1 Kommentar

  1. […] of the present to portray the sound worlds of the future. We also learn how music in the series How I Met Your Mother both helps to uncover untruths and supports the comic […]

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Moritz Kelber

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